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Figuren Shakespeares > Der Kaufmann von Venedig

Dies sind die Antworten auf eine umfassende "Beweisführung" in Sachen Shylock.

Ich empfehle, mit dem ersten Posting der Reihe anzufangen.

Shylock, der jüdische Kaufmann, Antworten Detobel, Teil A

>Hallo Hans-Peter,

möchtest Du doch noch einige Fragen beantworten, die Du nicht beantwortet hast?
Du schreibtst:
>Es ist wiedermal die Methode des freien Assoziierens ins Blaue ohne jede sachliche Grundlage, aber mit ungeheurem interpretatorischem Anspruch: Du baust nämlich darauf die schwerwiegende These auf, daß wir hier »unmißverständlich erfahren, daß Antonio beschnitten ist«.
Antwort:
Salerio sagt in III.: I would you had won the fleece that he hath lost.
Er möche also, Graziano hätte das Vlies gewonnen, das Antonio verloren hat.
Ich interpretiere dies so: sowohl Graziano als Antonio sind beschnitten, denn Graziano brauchte kein Vlies zu gewinnen, das er nicht hat und ebenso wie Antonio verloren hat. Das ist, denke ich, eine ziemlich logische Interpretation. Vielleicht denkst Du es sogar selbst. Statt zu sagen "ins Blaue hinein" hättest du beim Text bleiben und Deine eigene Interpretation liefern können.

Zweite Frage: Ich grübele darüber, wie man ohne Herzen leben kann. Nach Deiner Darstellung scheint dies möglich zu sein, vorausgesetzt man verläßt Venedig und heißt Antonio.

Die Stelle, die metaphorisch zu deuten Du mir vorwirfst, wie anders als metaphorisch kann sie sinnvoll gedeutet werden? Ich wiederhole. in III.1, ganz am Ende, sagt Shylock zu Tubal:
"I will have the heart of him if he forfeit, for were he out of Venice I can make what merchandise I will...". Du sagst, Shylock, bekennt sich hier eindeutig dazu, daß er im ganz konkreten Sinne das Herz meint. Aber du läßt den Satz weg "if he were out of Venice". So wie in der Schlegel/Tieck-Übersetzung verstehe ich aus. Vielleicht kann man hier mal Frank fragen, wie er das übersetzt hat oder zu übersetzen gedenkt. ST übersetzt: "wenn er aus Venedig weg ist". Ich verstehe dies nicht: "wäre er tot", was er doch wahrscheinlich wäre, wenn er kein Herz mehr hätte. Bin ich hier zu dreist oder zu dumm mit dieser Annahme? Fälsche ich den Text. Ich verstehe dies so: aus Venedig heraus. Und warum sollte er denn wohl aus Venedig herausfliegen, nachdem er das Pfund Fleisch, das im übrigen von Shakespeares Zeitenossen sehr wohl mit der Beschneidung verbunden worden ist und, wie es den Anschein hat, wahrscheinlich oder doch möglicherweise aufgrund von Shakespeares Stück - das kommt später noch, nicht mehr hier und heute.
Entweder: Antonio lebt außerhalb von Venedig ohne Herzen weiter oder: Shylock sagt, "aus Venedig weg" und meint "tot"? Meint er "tot"? Ich denke, die Deutung "aus Venedig verbannt" sei hier weniger zu spekulativ. Dann kann Shylock das mit dem Herzen nur metaphorisch meinen.
Ich komme da aus der Klemme ohne metaphorische Auslegung nicht heraus.
(Daher meine Lesart von "ban'd" als Elision in "banned" (was vielleicht auch in gewissen Texten so da stand; beileibe keine Schutzbehauptung, das würdest Du doch nicht annehmen, wenn Du weißt, wie unsicher manche Schreibweisen sind, ein einziges "n" gehörte zu den Lappalien; die Abweichungen zwischen Quartos untereinander und Folio sind in der Regel größer).

Shylock, der jüdische Kaufmann, Antworten Detobel, Teil B

Hallo Hans-Peter,
Du schreibtst:
>Es ist ABSOLUT UNERFINDLICH, wieso die Formulierung »nearest to the heart« d.h. schlicht und einfach »nächst dem Herzen« in irgendeiner Weise mit der »Vorhaut des Herzens« oder der »Beschneidung des Herzens« im Zusammenhang stehen soll, wie es z.B. in Deuteronomium 10,16 erwähnt wird:
>»Ihr sollt die Vorhaut eures Herzens beschneiden und nicht länger halsstarrig sein«. Die Starrsinnigkeit des erwählten Volkes wird dort getadelt, das am Bund mit Jahwe versagt.
>Was um Gottes willen hat das jetzt mit dem vorliegenden Text zu tun? was hat das hier verhandelte Herausschneiden eines Pfundes Fleisch aus dem Körper des Antonius mit der jüdisch-rituellen Beschneidung des Phallus zu tun? Wo ist im Text in irgendeiner Form auch nur ein einziges Mal von »Beschneidung« die Rede? Wo gibt es im Text irgendeinen Hinweis, daß metaphorisch die jüdische »Beschneidung des Herzens« oder eine »Vorhaut des Herzens« gemeint ist? Woraus entnimmst Du die Grundlage Deiner Behauptung, daß es sich hier um Metaphorisches handelt statt um ein konkretes Stück Menschenfleisch, wie es im Text benannt wird, wie es auf der Titelseite der Quarto als besonderer Horror-Appeal benannt ist, wie es in allen Varianten dieser alten Fabel vom Fleischpfand benannt wird?
>Du verwechselst grundsätzlich die konkrete Fakten-Arbeit an einem Text mit der Methode des freien, willkürlichen und beliebigen Assoziierens: »Nicht im Herz, sondern so nah wie möglich dem Herzen, das heißt, so steht es in der Bibel: die Vorhaut des Herzens oder : die Beschneidung des Herzens. « Das ist eine Kette rein assoziativer Zuordnungen, »nah am Herzen« -> »Bibel« -> »Vorhaut des Herzens« - aber das ist keine Begründung, keine Beweisführung, keine kausale Ableitung oder logische Verknüpfung. Wenn Dir der Text so, wie er dasteht, nicht paßt, erfindest Du eben einfach assoziativ wilde Zusammenhänge quer durch den kulturellen Kuriositätenladen. Dieses Spiel kann man endlos betreiben – es ist aber sinnlos, weil beliebig. In der Bibel steht viel. Was hat »Demut, Offenheit, Unverstocktheit« mit dem hier verhandelten konkreten juristischen Gefecht um einen dubiosen Schuldschein zu tun? Natürlich kann man mit deiner Methode auch hier wieder irgendeinen Nexus herbeifabulieren, nur hat all das mit Shakespeares Text schon lange nichts mehr zu tun.

Moment doch: Gabriel Harvey (nicht der des Blutkreislaufs, sondern ein Gelehrter, ein etwas pedantischer) schreibt in seiner Polemik gegen Thomas Nashe und seinen Kreis (zu dem Shakespere wohl gehörte): Sie sollten ihre Zunge beschneiden. Was ist der Vorhof sonst als der nächste Platz zum Hof, die Haut nahe dem Herzen anders als die Vorhaut des Herzens. Absolut unerfindlich soll diese Deutung sein? Und wie aus Harveys Satz zu entnehmen ist, war diese biblische Vorhaut den Zeitgenossen doch sehr geläufig. So nahe wie möglich beim Herzen ist nicht das Herz selbst. Ich denke, es ist die Vorhaut. Was sonst. Die Leber war es nun doch nicht.

Du schreibst:

Irgendwo muß es ja stehen, oder woher hast Du sonst diese Einsicht in Shylocks Motivation? - Behaupten kann man alles. Es steht nirgends. Es handelt sich um frei erfundenes Phantasieren und ist deshalb absolut indiskutabel.

Zwischen den Zeilen lesen ist indiskutabel. Das steht hiermit fest. "Tongue in cheek" reden ist auch indiskutabel. Arme Sprache!

Ich schrieb:

>> Und weil nach Shylocks Verständnis ebenjene buchstäbliche Deutung der Beschneidung des Herzens, der Entfernung der Vorhaut des Herzens nicht möglich ist, muss Portia davon ablassen, zu dem Pfund Fleisch zurückkehren (der physischen Beschneidung) und Shylock verbieten, auch nur einige Tropfen Blut von Antonio (genauer von dessen Penis) zu nehmen.

Du schreibst:

>Grotesk. ( Was, bitte, soll man sich unter der buchstäblichen »Entfernung der Vorhaut des Herzens« vorstellen???)

Sagte ich ja doch auch. Shylock kann sich darunter nichts vorstellen. Portia hat es aber gesagt. Du mußt so nahe wie möglich dem Herzen schneiden. Es ist aber eine Komödie. Würde sagen: weg mit dem Puck, ich meine nicht Eishockey, sondern den Puck aus Mittsommernachtstraum. Streut irgendwas über Titania und die verliebt sich in einen Eselskopf. Könnte das kein Bild für die Mutter sein, das allererst wahrgenommene und geliebte Objekt sein? Aber weg mit dem Puck. Was soll der Quatsch? Steut was in die Augen der Titania und die verliebt sich in einen Esel!! Grotesk!! Wie sollte man sich das vorstellen???

Ich bin jetz dort angekommen, wo du ausführlicher Portia zitierst. Und ich meine, Du hast einen Satz weggelassen. Exakt einen Satz. Und ich hatte es erwartet, daß Du den weglässt. Grund den eigenen vielleicht erwartungsgetrübten Augen nicht zu trauen. Bisher habe ich den Satz nicht gefunden. Werde morgen aufstehen, mir die Augen auswischen und Dein Posting noch einmal durchgehen. Bisher habe ich ihn noch nicht entdecken können. Ich weiß noch, dass ich mir über den Satz eine Weile den Kopf zerbrochen habe. Umsonst wohl, wenn Du meinst ihn weglassen zu können.

Werde morgen noch einmal Dein Posting, nein zweimal oder dreimal durchgehen. Der Satz ist im Stück drin, aber bisher habe ich ihn nicht in Deinem Posting gefunden.


Ich suche weiter, ich finde diesen Satz nicht. Ich kann es nichtz glauben. Vielleicht träume ich schon. Aber Du hast einen Satz vergessen und ich habe mir über diesen Satz den Kopf zerbrochen. Du hast recht, ich bin unverständlich unverständig. Der Satz wird überflüssig gewesen sein. Auch wenn ihn Shakespeare geschrieben hat.

Shylock, der jüdische Kaufmann, Antworten Detobel, Teil C

Hallo Hans-Peter,

Du hast ja mehrere Tatsachenfeststellungen in Großbuchstaben geschrieben, wohl damit es in meinen Kopf eingeht. So auch diese:
"Portia fährt in ihrer Urteilsverkündung GEMÄSS DEM IM SCHULDSCHEIN STEHENDEN VERTRAGSTEXT fort:". Heißt das: gemäß den Bedingungen des ihr vorliegenden Vertrages? Der Vertrag besagte doch: "ein Pfund Fleisch an einer Stelle, die Shylock gefallen wird". Hast Du eine Abschrift vom vollständigen Vetragstext? Kannst Du eine Kopie hier im Forum posten? Dann habe ich natürlich nichts mehr zu sagen.
Aber solange Du mir diesen vollständigen Text nicht mitgeteilt hast, werde ich das Gefühl haben, immer noch irgendwas sagen zu müssen.
Zu einer anderen Großbuchstabenstelle.

"Es ist ABSOLUT UNERFINDLICH, wieso die Formulierung »nearest to the heart« d.h. schlicht und einfach »nächst dem Herzen« in irgendeiner Weise mit der »Vorhaut des Herzens« oder der »Beschneidung des Herzens« im Zusammenhang stehen soll, wie es z.B. in Deuteronomium 10,16 erwähnt wird:
>»Ihr sollt die Vorhaut eures Herzens beschneiden und nicht länger halsstarrig sein«. Die Starrsinnigkeit des erwählten Volkes wird dort getadelt, das am Bund mit Jahwe versagt.
>Was um Gottes willen hat das jetzt mit dem vorliegenden Text zu tun? was hat das hier verhandelte Herausschneiden eines Pfundes Fleisch aus dem Körper des Antonius mit der jüdisch-rituellen Beschneidung des Phallus zu tun? Wo ist im Text in irgendeiner Form auch nur ein einziges Mal von »Beschneidung« die Rede? Wo gibt es im Text irgendeinen Hinweis, daß metaphorisch die jüdische »Beschneidung des Herzens« oder eine »Vorhaut des Herzens« gemeint ist? Woraus entnimmst Du die Grundlage Deiner Behauptung, daß es sich hier um Metaphorisches handelt statt um ein konkretes Stück Menschenfleisch, wie es im Text benannt wird, wie es auf der Titelseite der Quarto als besonderer Horror-Appeal benannt ist, wie es in allen Varianten dieser alten Fabel vom Fleischpfand benannt wird?
>Du verwechselst grundsätzlich die konkrete Fakten-Arbeit an einem Text mit der Methode des freien, willkürlichen und beliebigen Assoziierens: »Nicht im Herz, sondern so nah wie möglich dem Herzen, das heißt, so steht es in der Bibel: die Vorhaut des Herzens oder : die Beschneidung des Herzens. « Das ist eine Kette rein assoziativer Zuordnungen, »nah am Herzen« -> »Bibel« -> »Vorhaut des Herzens« - aber das ist keine Begründung, keine Beweisführung, keine kausale Ableitung oder logische Verknüpfung. Wenn Dir der Text so, wie er dasteht, nicht paßt, erfindest Du eben einfach assoziativ wilde Zusammenhänge quer durch den kulturellen Kuriositätenladen. Dieses Spiel kann man endlos betreiben – es ist aber sinnlos, weil beliebig. In der Bibel steht viel. Was hat »Demut, Offenheit, Unverstocktheit« mit dem hier verhandelten konkreten juristischen Gefecht um einen dubiosen Schuldschein zu tun? Natürlich kann man mit deiner Methode auch hier wieder irgendeinen Nexus herbeifabulieren, nur hat all das mit Shakespeares Text schon lange nichts mehr zu tun."

Was würdest Du sagen, wenn ich Dir einen Witz schrieb und diesen mit Fußnoten versähe? Du würdest vielleicht sagen: Fußnoten braucht der verkrüppelte Witz, um ein Fortkommen zu haben. Was würdest Du sagen, wenn ich Dir ein Dankesvers schreiben würde und es mit Fußnoten versähe? Etwa: Für den Regen Deiner Worte bin, der ich wie ein einsamer Stein bin, ewig dankbar, und dann als Fußnote: "einsamer Stein" ist hier nicht wörtlich zu verstehen und bedeutet auch nicht, daß sich der Dichter für ein unnachahmliches Denkmal hält. Du würdest sagen: dieser Vers braucht Fußnoten, den auf den eigen Füßen kommt es mächtig ins Stolpern. Oder wenn ich ein Bühnenstück mit Fußnoten schriebe? Daß es ja sonst nicht von der Stelle käme.
Nun behaupte ich, daß Shakespeare, hätte er das getan, was Du verlangst, damit ich recht hätte, ein Bühnenstück mit Fußnoten geschrieben. Ich will nicht mal meine eigenen Argumente anführen, da ich deutlich absolut vollkommen offensichtlich nachweislich (im Folgenden kurz: DAVON) keine habe. Ich werde mich im Schutz eines anderen Autors halten: James Shapiro, Shakespeare and the Jews, New York 1996. Er ist am Zustandekommen meiner Analyse maßgeblich beteiligt, aber ich habe mich nicht auf ihn berufen, weil unsere Folgerungen doch an entcheidender Stelle auseinandergehen. Erst kommt nun Shapiro zu Wort und in einem zweiten Teil werde ich darlegen, weshalb ich nur zum Teil einverstanden bin. Den Grund kann ich nennen: damit Shapiros Deutung zutrifft, muß man einen ganzen Teil des Textes unberücksichtigt lassen.

Shapiro hat in seinem Buch ein ganzes Kapital: "The Pound of Flesh". Er bedankt sich in seinem Vorwort bei einer ganzen Reihe von Leuten, von denen mir nur einer bei meinen Lekktüren begegnet ist: Harold Fisch, ein Bibelexperte. Und Shapiro gibt die Richtung seiner Argumentation an, die ich hier im Englischen belasse: "I am interested here not only in restoring a sense of the fascination and importance circumcision held for Elzabethans but also in arguing that an occluded threat of circumcision informs Shylock's desire to cut a pound of Antonio's flesh" (S. 114). Nicht nur seien die Elisabethaner von dem jüdischen Ritus der Beschneidung fasziniert gewesen, sondern aus Shylocks Wunsch, ein Pfund Fleisch aus Antonios Körper zu schneiden enthalte eine versteckte Beschneidugsdrohung.

Ich könnte nun schlicht auf dies Kapitel verweisen, will aber doch einige Stellen angeben.

Shylock, der jüdische Kaufmann, Antworten Detobel, Teil D

Hallo Hans-Peter,

Shapiro untergliedert seinen Abschnitt über "Das Pfund Fleisch" in vier Paragraphen. Der erste: "Elisabethanische Ansichten zur Beschneidung". "Elisabethanisch" ist nicht allzu eng zu fassen, das erste Drittel, praktisch die Regierungszeit Jakobs I., wird mit einbezogen. So erwähnt er einen gewissen Samuel Purchas mit dem Zitat: "dass durch die Beschneidung einer "zum Juden gemacht wird" (1613). Diese Vorstellung ist absurd, aber nicht so absurd, dass sie nicht ernsthaft geäußert werden könnte.
Das ist einer der Gründe, weshalb ich das Stück als Komödie betrachte. Denn nach meiner Auffassung schreibt Shakespeare diese Auffassung auch Shylock zu. Allerdings - und das ist auch an Jürgen und Andreas gerichet - kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Shakespeare hier nicht den jüdischen Glauben verspottet, sondern das, was einige Zeitgenossen dafür hielten. Und wenn man diese Dimension für eine Aufführung wiederherstellen könnte - schwierig dürfte es sein, wenn man bedenkt, dass selbst das albernste Vorurteil dem restlos Voreingenommenen noch als Legimitation vorkommt - wäre das Stück auch als Komödie spielbar.
Shapiro führt auch Thomas Coryat "Coryats Crudities" an, ein Werk, das, nach dem was ich darüber gelesen habe, eher ironisch gemeint ist. Es wird darfauf hingewiesen, dass unter den Abbildungen auch die eines Juden ist, der ein Messer zum Beschneiden schwingt (wiederum ein Klischee, das Shakespeare in der Gerichtsszene übernommen hat, allerdings in einer mir sehr komödiantisch anmutenden Situation). Coryats Werk (etwa 1611) begleiten einige Lobverse nach dem Motto: wenn du in die Hände eines Juden gerätst, schneiden die ein Stück von deinen Penis und du bist Jude. Ich zitiere nur zwei, beide, vor allem das erstere, mit deutlichem ironischen Nebenton: "Ulysses heard no Syren sing: nor Coryate /The Jew, lest his prepuce might prove excoriate". Der Jude, dem man die Vorahut genommen, könnte sich als abgeschält oder der ehemalige Coryat erweisen (excoriate, ex-Coryate). Das zweite: "And yet but for one petty poor misprision, /He was nigh made one of the circumcision" (etwas frei: Und doch mit einem einzigen Schnittchen nur,/Hätt' er fast feiern müssen Jom Kippur"). Auf mich wirkt das eher als Männerwitz denn als wirklicher Antisemitismus. Aber Shapiro hat doch wohl recht, wenn er diese und weitere Beispiele als Beweis dafür ansieht, wie Shakespeares Zeitgenossen von der Beschneidung fasziniert waren.

Im zweiten Paragraphen geht Shapiro dann kurz auf das Thema der Beschneidung in der christlichen Theologie ein. Tenor das paulinische Thema: die Juden nehmen den Buchstaben, das Zeichen für den bezeichneten Begriff, so de Mornay, Calvin und andere. Wie hätte das Thema bei der intensiven Beschäftigung mit der Bibel auch vermieden werden können. Nach Genesis 17 war ja die Beschneidung unabdingbar für den Bund zwischen Gott und dem jüdischen Volk. John Donne, erst Dichter, danach auch Prediger, hat sich mit der Stelle in der Bibel herumgeschlagen. Zitiere auf Englisch: "Why, Abraham, must have wondered, "does God command me so base a thing...". Die Antwort: "... this rebellious part is the root of all sin".

Im dritten Abschnitt beschäftigt er sich mit Shakespeares Quellen. Ich zitiere seine Anmerkung: "It is not immediately clear how for an Elizabethan audiene an allusion to a Jew cutting off a man's "fair flesh" would invoke images of a threat to the victim's heart, especially when one calls to mind the identification of Jews as circumcisors and emascualtors. On a philological level, too, the choice of the word <> here carries with it the strong possibility that Shylock has a different part of Antonio's anatomy in mind. In the late sixteenth century the wor <> was CONSISTENTLY USED, ESPECIALLY IN THE BIBLE, IN PLACE OF <>. Readers of the Geneva Bible would know from examples like Genesis 17.11 ... and the discussions of exuality and disease in Leviticus always use the word <> when speaking of the penis." (S. 121-122).

Sicher, Hans-Peter, Du hast recht, wenn Du sagst, von Beschneidung stünde im Stück nichts drin. Aber das wäre ja bei dem bibelkundigen Publikum de 16. Jahrhunderts die Fußnote zum Bühnenstück gewesen, das zu erwähnen. Du schreibst, aus den Höhen des den Grundkurs absolvierenden Literaturwissenschaftstudenten: "Daß so etwas unzulässig ist, lernt man im ersten Semester im Grundkurs "Literaturwissenschaftliches Arbeiten". Du hättest wirklich besser gewartet. Vielleicht kommt in den späteren Semestern noch ein Leistungskurs, in dem man lernt, ein Werk auch im historischen Kontext zu betrachten. Sicher, du meinst das alles sehr gut, sehr wohl, und eine Invektive ist das nicht und ich sollte mich nicht verletzt fühlen. Nicht verletzt fühlen? Schlimmer, getötet fühle ich mich durch diese langsam allzu langweilig werdende Bramarbasiererei.

Shapiro geht nun noch weiter. Er weist auf den Meister selbst hin, nicht im "Kaufmann von Venedig", sondern in "Romeo und Julia", I.1. und II.4. Erstes Beispiel, der Dialog zwischen Samson und Gregory: S: "Me shall feel while I am able to stand, and 'tis known I am pretty piece of flesh". G: 'Tis well thou art no fish". Und in II.4 im Duett Benvolio und Mercutio. B: "Here comes Romeo, here comes Romeo!". Merc.: "Without his roe, like a dried herring. O flesh, how art thou fishified!".

Ein weiteres Beispiel aus der englischen Übersetzung eines Werkes, Alexander Sylvains "The Orator", das als Quelle für "Der Kaufmann von Venedig" gilt. Dort fragt sich ein Jude ob er "should cut off his privy members, supposing that the same would altogether weigh a just pound" (S. 122). Also: ein Jude fragt sich, ob er die Gechlechtsteile eines Christen abschneiden sollte, vorausgesetzt, sie wiegen genau ein Pfund. Ein anderes ähnliches Beispiel dürfte direkt auf Shakespeares Stück bezogen sein.
Mit Blick auf die Wiederaufnahme der Gerichtsszene will ich noch eine andere Bemerkung Shapiros hinzufügen.
Shapiro bemerkt: "Why, one wonders, is Antonio's breast the spot most pleasing to Shylock? And why, for the sake of accuracy, wouldn't Shylock rather cut out rather than "cut off" a pound of flesh if it were to come from "nearest" Antonio's heart? Moreover, why don't we learn of this crucial detail until Shylock's final appearance in the play?" (S. 121). Shapiro scheint also nicht anzunehmen, daß Shylocks Satz in III.i. "I will have the heart of him" anders als metaphorisch gemeint wäre. Und aus guten biologischen Gründen. "Cut off", das läßt sich von der Entfernung der Vorhaut sagen, aber in der Umgebung des Herzen wäre ja doch "cut out" angebracht. Ist Shapiro ungenau? Ist es Shakespeare? Ich glaube nicht. Die Beibehaltung des "cut off" suggeriert die Verlegung der physischen Beschneidung in die metaphorische Ebene.

Der 4. Abschnitt handelt von der Beschneidung des Herzens, der einzigen Beschneidung, nach dem Geist, nicht nach dem Buchstaben, die für Paulus Gültigkeit hat. Hugo Grotius sieht in der geistigen Beschneidung des Herzens die einzige gültige Beschneidung (er liegt womöglich so falsch nicht; auch unter Juden war und ist die Beschneidung in regelmäßigen Abständen umstritten gewesen; im 19. Jahrhundert wollten reformatorische Juden nur noch die hygienische Funktion betonen; ein für mich aufschlußreiches Buch dazu, das ich hier empfehlen möchte ist das von Lawrence Hofman, The Covenant of Blood - brachte mich übrigens auf den Gedanken, dass Shylock die symbolische Zweitbeschneidung im Sinn gehabt haben muss, was außer dem Genuß der Kapriole auch noch den der logischen Konsistenz des Stückes erwirkt).
Im gleichen Sinne wie Grotius wiederum John Donne.
Natürlich hatte die mit dem Protestantismus einsetzende Rückbesinnung auf die Wurzeln, das Alte Testament, zur Folge, dass die Beschneidung zu einem wichtigen Thema wurde.
Und geantwortet wurde immer im Sinne des Paulus: Es ist die Beschneidung des Herzens, die zählt. Die beiden Beschneidungen, die konkrete des Penis, des Fleisches, und die metaphorische des Herzens, waren zuzeiten Shakespeares so eng miteinander verknüpft, daß es keiner weiteren Erklärungen bedurfte. Ich wiederhole, den Zusammenhang mehr als nur anzudeuten, hätte bedeutet, ein Stück mit Fußnoten und somit kein Stück zu schreiben.
Shapiro erklärt dann Shylocks Entschluß, das Herz zu beschneiden, derart, daß Shylock den Christen Antonio dort treffen will, wo dieser sich dem Juden moralisch überlegen fühlt, sich dann aber durch seinen Buchstabismus verblenden läßt. "Shylock's decision to exact his pound of flesh from near Antonio's heart can be seen as the height of the literalism that informs all his actions in the play, a literalism that when imitated by Portia leads to his demise. Also echoing through the trial scene of "The Merchant" are the words of Galatians 6.13: "For they themselves which are circumcised keep not the Law, but desire to have you circumcised, that they might rejoice in your flesh," that is to say (as the gloss to this line in the Geneva Bible puts it) "that they have made you Jews." Shylock will cut his Christian adversary in that part of the body where the Christians believe themselves to be truly circumcised: the heart." (S. 127).

Diese Erklärung scheint in sich logisch. In sich. Legt man Shakespeares Text als Maßstab an, so muß man wohl feststellen: ab irgendeinem Punkt stellt sich diese Erklärung quer zum Text.

Shylock, der jüdische Kaufmann, Antworten Detobel, Teil E

Hallo Hans-Peter,

ich habe den Satz, um den es mir geht, der mich damals bewogen hat, den Text noch einige Male zu überdenken, erst mit der Suchfunktion gefunden. Dass ich ihn beim Lesen dauernd übergangen habe, liegt wahrscheinlich daran, dass es nicht Dein Satz ist, sondern mei Satz, den Du zitierst, und übergehst. Hier die Stelle: Zitat und Deine Antwort.


>>>Noch später wiederholt Portia das, was ausdrücklich im Schuldschein steht: "The words expressly are "a pound of flesh". Wohlgemerkt, den letzten Satz spricht sie, nachdem sie vorher die Stelle bestimmt hat und nachdem sie gesagt hat, dass Shylock dort schneiden MUSS.
>Das hatten wir schon weiter oben – Portia hat zuvor die Stelle NICHT bestimmt und hat Shylock NICHT befohlen, daß er dort schneiden MUSS, sondern sie hat sich schlicht und einfach juristisch auf den exakten Wortlaut des Schuldscheins berufen. Deine Darstellung des Textes manipuliert den Sinn.

Ich will Dir nicht unterstellen, daß Du den Text manipulierst, wie Du mir vorwirfst. Nachdem Du eine solch erhabene Haltung gegenüber Manipulatoren von Texten bezeugt hast, wird das niemand mehr tun können. Ich gehe davon aus, daß ich einen unvollständigen Text habe und auch davon, daß alle anderen keinen vollständigeren Text als ich besitzen, außer Dir. In meiner Fassung steht nichts über den exakten Wortlaut des Schuldscheins, nur zwei Angaben: ein Pfund Fleisch und das Abschneiden (eher als Heraussschneiden) in der Nähe des Herzens. Deshalb nohmals meine Bitte, diesen vollständigen Vertragstext hier im Forum zu veröffentlichen.
Nach meiner Fassung wird der genaue Wortlaut der Bedingung gerade an dieser Stelle (Zeile 303 Ardenausgabe) von Portia angegeben: "The words expressly are 'a pound of flesh'". Ich gebe die Übersetzung aus ST an: "Die Worte sind ausdrücklich : ein Pfund Fleisch".
Du schreibst "Das hatten wir schon mal". Nein, nein, das ist doch ein wenig anders. Er darf jetzt keinen Tropfen Blut vergießen, während er beim Abschneiden nahe dem Herzen (es steht ja "cut off") schon etwas Blut vergießen durfte. Du hast, so scheint es mir, diesen Widerspruch gesehen und hast Dich dann zu einer hastigen Selbstsicherheit gesteigert: das habe ich schon erklärt. Von der falschen Voraussetzung ausgehend, daß mein Text unvollständig ist, ist auch meine Folgerung falsch, daß Du die Weigerung, das einmal zu bedenken, durch rhetorischen Schall zu verdecken suchst.
Noch einmal die Frage: ist es nicht so, daß er Blut vergießen darf, wenn er nahe dem Herzen schneidet, aber kein Tropfen Blut vergießen darf, wenn es nachher wieder um das Pfund Fleisch geht?

Sicher, Portia hat vorher das Herz bestimmt. Sie hält zu dieser Zeit den Schuldschein in den Händen. Es gibt keine Regieanweisung, daß sie den Schuldschein zurückgibt. Anscheinend hält sie ihn bis zum Schluß bei sich. Es gibt auch keine Regieanweisung, daß Shylock im Schuldschein nachschaut. Er fragt zweimal nach. Zunächst als Portia gesagt hat, dass Syhlock nahe dem Herzen schneiden soll. Er fragt!!
Ay, his breast,
So says the bond, doth it noble judge?
"Nearest his heart", those are the very words. (248-50)

Portia antwortet:
It is so, - are thee balances here to weigh
The flesh.
(251-2).
Portia bejaht, will dann noch etwas sagen, bricht jedoch den Satz ab und fährt fort. Durch ihren Satz: "The words expressly are " a pound of flesh" widerruft sie dies. Sie bestätigt nicht, daß die "very words" seien: "nearest his heart", sondern daß der Schuldschein ausdrücklich von einem Pfund Fleisch spricht. Nochmals: "The words expressly are". Daß es hier eine Schwierigkeit gibt, werden alle merken, auch Du hast es gemerkt, aber Du bist vor dem Widerspruch unter Ausstoßung einiger DAVONs, apodiktischer Sätze weggerannt.

Da ist ein Widerspruch, man könnte meinen eine Sorglosigkeit des Dicherts oder ein Pfuschen der Herausgeber (keines von beiden trifft m.E. zu).

Als Portia bestimmt - nun will ich doch darauf hinweisen, daß es Portia ist, die dabei ist den Vertrag auszulegen (und vorweg: ich kann nicht die Meinung derjenigen teilen, die glauben, Shakespeare hätte hier einen echten Prozeß wiedergeben wollen; die Gerichtssitzung hat viel mehr einige Gemeinsamkeiten mit einem Inquisitionsprozeß, aber auch diese Ähnlichkeit sollte man nicht allzu sehr strapazieren; eine andere Ähnlichkeit ist größer: die mit einem theologischen Streitgespräch), als Portia bestimmt - und, nochmals, es ist Portia, die gekommen ist, um den Vertrag zu deuten, und auch dies: Shylock hat den Vertrag selbst abgefaßt, er müßte eigentlich doch wissen was drin ist, was er nicht wissen kann, ist der genaue juristische Sachverhalt (in der Realität ist er klar: der Vertrag ist ungültig, denn der Vertragsgegenstand ist rechtswidrig), deshalb ist Portia ja gekommen - oder?
Daß sie nicht dabei ist den Vertrag zu verlesen, sondern ihn auszulegen, wird, denke ich, in den nächsten Zeilen klar, als sie verordnet, einen Chirurgen zu holen, um den Blutverlust so gering wie möglich zu halten.
Shylock fragt:
Is it so nominated in the bond? (255)
Portia antwortet:
It is not so express'd, but what of that?
'Twere good you do so much for charity. (256-257)
Shylock:
I cannot find it, 'tis not in the bond. (258).

Alles hintereinander, kein Raum dazwischen, auch keine Regieanweisung, daß Portia den Schuldschein ausgehändigt hätte. Und warum fragt Shylock überhaupt nach? Er hat den Schuldschein selbst erstellt. Man kommt nun wirklich aus den Widersprüchen heraus, wenn man annimmt, daß er hier nicht von "bond" redet, sondern von "covenant", vom "Bund mit Jahwe". Die beiden Bedeutungen liegen nahe beieinander. Willst Du das abstreiten? Im Roget's der bedeutungsverwandten Wörter stehen sie direkt nebeneinander.

In Deiner Interpretation ist Shylock ein habgieriger Jude, der nicht einmal einen Chirurgen holen will, um das Leiden seines Opfers zu stillen. Aber wenn man auf einer solchen realistischen Ebene bleibt: was würde denn einen Chirurgen nutzen, wenn er ins Herz schneidet oder gar das Herz ausschneidet?

In meiner Interpretation ist er ein geschäftstüchtiger und zugleich frommer Jude (er hält sich auf jeden Fall dafür), der aus Antonio wieder einen Juden machen will. Darüber bald mehr. Es geht nicht darum, daß ich den menschlicheren Juden in Anspruch nehmen kann, während Du ihn zu einem Mörder machst.

Es geht darum: reden wir die Widersprüche nicht weg, die im Text stecken.

Portia gibt zwei verschiedene Interpretationen. Aber im einen Fall, als sie bestätigt, daß wirklich im Schuldschein steht, Shylock muß, sie sagt sehr wohl, daß Shylock muß - und verzeihe mir, ich werde nicht noch einmal zitieren, wie Du auf diesen Satz geantwortetet hast. Du hast die Urteile aneinandergereiht, den Paternoster Deiner Urteile heruntergeleiert.

Komm mir bitte nicht damit, daß Du geantwortet hättest. Geh zum Text. Wie löst Du diese Widersprüche?

###########################

Shylock beharrt auf strikter Gesetzesanwendung. Historisch duchaus richtig (Antonio gibt in III.iii.27-30 die Begründung: Venedig ist wegen der Abhängigkeit vom Außenhandel und den ausländischen Kaufleuten auf Rechtssicherheit angewiesen). Und das weiß auch Shylock:
If you deny me, fie upon your law!
There is no force in the decrees of Venice:
I stand for judgment, - answer, shall I have it? (101-103).

Portia wird diesem Standpunkt zunächst beitreten:
It must not be, there is no power in Venice
Can alter a decree established:
'Twill be recorded for a precedent,
And many an error by the same example
Wíll rush into the state, - it cannot be. (214-8)
Aber redet Shylock ausschließlich vom venezianischen Gesetz? Offenbar doch nicht:
An oath, an oath, I have an oath in heaven,-
Shall I lay perjury upon my soul?
Not for Venice. (224-6)

Er hat einen Schwur bei Jakob geleistet. Er ist durch diesen Schwur verpflichtet. Er besteht nicht nur auf dem venezianischen Gesetz, sondern auf dem religiösen jüdischen Gesetz, und zwar auf dem Ritualgesetz. Davon hat er auch gegenüber Bassanio geredet (dort waren es die Reinheitsgebote - I.iii). Hat er den Schwur geleistet, einen Christen umzubringen? Hat Shakespeare dies gemeint: daß der Jude das Blut der Christen sucht. Sehr blutdürstig gebärdet sich Shylock allerdings nicht. Graziano und Bassanio behaupten das zwar, auch Antonio behauptet, Shylock wolle ihn umbringen, aber Shylock bleibt ziemlich ruhig, wenn auch beharrlich. Wenn er einen Schwur geleistet hat, ist er durch das jüdische Gesetz gebunden. Wenn er Gratiano antwortet:
Repair thy wit good youth, or it will fall
To cureless ruin. I stand here for law. (141-2)
könnte er beides gleichzeitig meinen, aber doch wohl eher das letztere, das jüdische Gesetz. Wie liest sich das bei Schlegel/Tieck:
Stell deinen Witz her, guter junger Mensch
Sonst fällt er rettungslos in Trümmern dir:
Ich stehe hier für Recht.
Aber die Verbindung zwischen Unheil und Gesetz, die Androhung von Unheil, geistiger Verwirrung wegen Nichtbefolgung des Gesetzes deutet darauf hin, daß er in diesem Fall eher an das jüdische religiöse Gesetz als an das venezianische denkt. Daß er dies gegenüber Gratiano sagt, hat eigentlich nur Sinn, wenn dieser selbst dem Judentum angehört hat. Gratianos Verwünschungen wiederum lassen sich als Übereifer des Konvertiten wie als Abreagieren am patriarchalisch auftretenden Shylock begreifen. Auch das Bestehen auf den Reinheitsvorschriften gegenüber Bassanio deutet darauf hin, wenn auch weniger. Und Bassan(i)o wie Graz/tiano waren in Italien nun einmal typische jüdische Namen, wie Cecil Roth schreibt (auf dessen Urteil in diesem Fall Verlaß ist, da er die Geschichte der Juden in Venedig eingehend untersucht hat. Außerdem haben wir auch noch den Hinweis, daß wie Antonio auch Gratiano beschnitten ist. Was ich hier nicht wiederhole.


Was hat Shylock nun bei Jakob geschworen? Vielleicht kann man aus der Sicht der Christen annehmen, er hätte wirklich Antonios Tod geschworen. Aber wir erhalten eine andere Information: daß er Antonios Fleisch haben werde, sagt Jessica (III.ii.285). Also das Fleisch, das in der Bibel ja immer für Penis oder für die Vorhaut steht. Jemanden zu ermorden, kann er nach jüdischer Ethik nicht geschworen haben. Man müße unterstellen, Shakespeare machte sich hier die wilden Vorurteile seiner Zeit zu eigen. Aber Jessica sagt uns, daß er Antonios Fleisch will. Ist das nach der biblischen Verwendung dieses Wortes nicht deutlich genug. Und wenn er damit die Vorhaut meint, dann hat er damit nur geschworen, daß er Antonio zum alten Bund zurückbringen werde - was nach dem jüdischen Gesetz ein frommer Eid ist, Mord dagegen keineswegs. Praktisch würde das unter den historischen Bedingungen in Venedig heißen, daß Antonio, wie man es nannte, "judaisierte", also zum Judentum zurückgekehrt war, worauf Verbannung stand. Was Shylock ja in III.i. auch gesagt hatte: "out of Venice".

Shylock spricht nicht nur vom bürgerlichen Gesetz Venedigs, er hat sich durch seinen Eid auch gegenüber dem jüdischen Gesetz gebunden, wozu die Beschneidung gehört.

Jessica sagt uns, daß er dies geschworen hat. Antonios Fleisch zu haben. Aber das kann er nicht, denn Antonio ist bereits beschnitten. Das kann er nur durch diese andere Form der Beschneidung, die praktiziert wird, wenn jemand ohne Vorhaut geboren ist oder jemand, der bereits beschnitten ist, zum Judentum übertritt: einen kleinen Schnitt in den Penis, so daß einige Tropfen Blut als Symbol des Bundes fließen (ausführlicher, wie bereits erwähnt, behandelt in Lawrence Hofmann, The Covenant of Blood - allerdings ohne Bezugnahme auf Shakespeares Stück).

Ich werde nachher den Dialog unter diesen beiden Voraussetzungen noch einmal durchgehen, die sind: Shylock spricht nicht nur vom bürgerlichen Gesetz, sondern auch vom religiös jüdischen, nicht nur von "bond", sondern auch vom "covenant" ("Bund"), und der Eid, den er geschworen hat, besteht darin, daß er Antonio beschneiden will, so daß dieser aus Venedig verbannt wird; da aber diese Beschneidung schon einmal vollzogen worden ist, bleib ihm dafür die Möglichkeit, einige Tropfen Blut fließen zu lassen, wie es das jüdische Gesetz, der "Bund" bestimmt.

Portias Aufgabe wird es dann sein, eine Auslegung zu finden, die Antonio die peinliche Situation erspart: die Offenbarung seiner jüdischen Herkunft, der rituelle Vorgang, der ihn wieder zum Juden macht, die Verbannung.

Diese Auslegung hebt das Stück als primär eine Komödie heraus. Verschwinden dadurch die Widersprüche. Let us see.

Shylock, der jüdische Kaufmann, Antworten Detobel, Teil F

Hallo Hans-Peter,

In meiner Sicht ist Shylocks Absicht keineswegs eine mörderische, sondern ein Plan, der von Chuzpe zeugt. Er verbindet eine ungute Tat mit einer guten Tat. Die ungute Tat besteht darin, daß er das Gesetz Venedigs dazu benutzen will, um Antonio zu beschneiden und aus Venedig verbannen zu lassen. Die gute Tat besteht darin, daß er Antonio nach dem jüdischen religiösen Gesetz beschneiden und dadurch zum alten Bund zurückholen will.
Portia muß dieses Vorhaben unterbinden. Sie muß verhindern, daß Antonio vor dem Gericht die Hosen herunterlassen muß. Sie muß verhindern, die beiden Tropfen Blut fließen zu lassen, die Shylock plant.
Nachdem sie vergeblich an Shylocks Milde appelliert hat - aber Shylock kann keine Milde zeigen, denn er hat eine Schwur geleistet - übernimmt sie völlig seine Interpretation: Für Venedig als Handelsstaat sind Rechtssicherheit und Rechtstransparenz unabdingbar; wird ein Präzedenzfall geschaffen, ist die Tür für weitere Rechtswillkür geöffnet (durch diese juristische Tür läßt sie Shakespeare in den Prozeß einsteigen, der dann letzten Endes doch was ganz anderes wird). Sie übernimmt damit Shylocks Vertrauen und damit hat Shylock den ersten Schritt zu seiner Niederlage gesetzt. Er bewundert den jungen Richter Balthasar als einen neuen Daniel, gemeint ist der Daniel aus der apokryphen Bibelgeschichte "Die keusche Susannah", Portia tritt auch unter dem Namen Dr. Balthasar auf. Beltschazar war der Name, den der Prophet Daniel am Hofe Nebukadnezars erhielt, der Name wurde häufigst als Balthasar geschrieben. In seiner Begeisterung überläßt er Portia die Interpretationshoheit. Darauf führe ich sein wiederholtes Nachfragen zurück: "So says the bond, doth it not noble judge?" (249) und "Is it so nominated in the bond?" (255). Was ich bei Deiner und anderen Deutungen vermisse, ist die Beantwortung der Frage, warum Shylock hier nachfragt. Er, Shylock, hat doch den Schuldschein selbst abgefaßt. Warum läßt ihn hier sein Gedächtnis im Stich? Wäre das nicht eine etwas schwache dramatische Konstruktion, daß Shylock plötzlich das Gedächtnis versagt?
Wenn man aber bedenkt, daß es ihm nicht nur um den bloßen Schuldschein geht, sondern auch um den Eid, den er bei Jakob geleistet hat und was seine Absicht mit dem jüdischen Gesetz, speziell mit dem Ritualgesetz der Beschneidung verknüpft - und Genesis 17 ist da nun eindeutig: der Bund wird durch die Beschneidung des Fleisches besiegelt - kann man hie auch fragen, ob er bei seinen Fragen nicht eher an den "Bund" denkt als an den Schuldschein.
Vielleicht können Theaterfachleute wie Jürgen und Andreas sagen, was sie von der Interpretation der nächsten drei Zeilen (248-50) unter diesem Gesichtspunkt halten:
Ay, his breast
So says the bond, doth it noble judge?
"Nearest his heart", those are the very words.

Es sind nicht die "very words" des Schuldscheins. Das bestätigt Portia später: ausdrücklich steht nur "ein Pfund Fleisch". Wenn Shylock hier aber an den "Bund" statt an den "bond" denkt, dann erhalten wir eine plausible Antwort. Denn als gläubiger Jude kennt Shylock natürlich den Ausdruck: "Beschneidung des Herzens". Und er erkennt auch die Verbindung, die Portia herstellt, aber, er tut gerade das nicht, was Portia ihm unterstellt. Und auch nicht was James Shapiro meint, dessen Fazit ich hier wiederhole (und widerlegen werde): "Shylock's decision to exact his pound of flesh from near Antonio's heart can be seen as the height of the literalism that informs all his actions in the play...". So ganz dem Buchstaben verfallen ist Shylock keineswegs. In Akt II geht er doch zu Bassanio, obwohl er in Akt I gesagt hat, er würde nicht mit ihm essen. Und wo Shapiro den Höhepunkt seines Buchstabenglaubens vermutet, schildert Shakespeare doch wohl das Gegenteil. Shylock versteht die Beschneidung des Herzens rein metaphorisch.

Ich stelle mir bei diesen drei Zeilen einen Shylock vor, der etwas verwundert ist und darüber grübelt, was der kluge junge Richter Balthasar wohl gemeint haben könnte? Es sind nicht die "very words", die ausdrücklichen Worte des Schuldscheins, aber wohl jene Worte, wie sie an zahlreichen Stellen der Bibel zu finden sind, Beschneidung des Herzens, manchmal auch zusammen mit der Beschneidung des Fleisches, oft jedoch für sich, wie denn überhaupt die vorexilischen Propheten wie Jeremia und Jesaja nur von der Beschneidung des Herzens, nicht des Fleisches sprechen.

Bald zum nächsten Abschnitt.
Gruß
Robert

Hallo Hans-Peter,

ich komme zum Abschluß.
Wenn wir annehmen, daß Shylock den Plan hegt, Antonio zu beschneiden, und zwar, da Antonio schon beschnitten ist, notgedrungen nach der für solche Fälle vom jüdischen Ritualgesetz vorgesehene Weise, durch einen kleinen Schnitt und einige Tropfen Blut, dann verschwindet doch zunächst der Widerspruch, dass Shylock zwar eine Menge Blut vergießen darf, wenn er nahe dem Herzen schneidet, aber, als wieder vom Fleisch die Rede ist, wie es "expressly stated" ist, nicht einen einzigen Tropfen. Wenn wir annehmen, dass Shylock die "Beschneidung es Herzens" nicht konkret, sondern nur im übertragenen Sinne verstehen kann, folglich immer noch davon ausgeht, das zu tun, was er vor hat, dann wird es auch verständlich, warum Portia nicht mehr darauf besteht, dass er nahe dem Herzen zu schneiden hat, denn das steht ja nicht im Schuldschein. Portia bestätigt dies nicht, sie bricht den Satz, der es bestätigen soll, abrupt ab. "It is so - are there".
Wenn nun Portia ahnt, was Shylock wirklich vor hat, dann muss sie eine Rechts- oder vielmehr eine theologische Interpretation finden, die verhindert, dass Antonio vor Gericht die Hosen herunterlassen muss. Den findet sie durch eine Verschiebung und die paulinische Unterstellung, die Juden würden das Gesetz nur nach dem Buchstaben, der tötet, verstehen, nicht nach dem Geist. Da Antonio schon beschnitten ist, bleibt nur noch die Beschneidung des Herzens. Also bestimmt sie, dass Shylock nach dem Gesetz (hier ist nicht mehr vom bürgerlichen Gesetz die Rede) nahe am Herzen "abschneiden" (Cut off), nicht herausschneiden (cut out) soll, ja muss. Die Genehmigung von Shylocks Forderung: "ein Pfund Fleisch" drückt sie als Erlaubnis aus. Achten wir doch noch einmal genau auf die beiden Formulierungen:

Zunächst:
A pound of that same merchant's flesh is thine,
The court awards it, and the law doth give it.

Shylock gehört ein Pfund Fleisch. Das spricht das Gericht ihm zu und steht ihm von Rechts wegen zu. Er soll dies an einer Körperstelle tun können, die ihn beliebt. Man müsste demnach erwarten, dass nun Shylock selbst bestimmt, wo er dies tun soll. Es wird nichts darüber gesagt, wo er dies zu tun gedenkt. Aber er kommt nicht dazu, selbst die Stelle zu bestimmen.

And you must cut this flesh from off his breast,
The law allows it, and the court awards it.

Shylock antwortet darauf:
Most learned judge! a sentence, come prepare.

Sicher muß man hier auf den ersten Blick annehmen, dass Shylock diesmal wirklich verstanden habe, er sollte nahe dem Herzen schneiden. Aber warum fiel denn Portia nicht vorher ein, als sie bestimmte, nahe dem Herzen zu schneiden, daß "This bond doth give thee here no jot of blood". Das war nun eindeutig nicht der Fall. Und das wird verständlich, wenn wir annehmen, dass Shylock die "Beschneidung des Herzens", die ja nach jüdischem Gesetzesverständnis anders als im übertragenen Sinne eine Absurdität ist, immer noch nicht buchstäblich zu verstehen vermag, und immer noch an das Pfund Fleisch, an Beschneidung denkt, was unter den gegebenen Umständen nur bedeuten kann: Beschneidung der zweiten Art, einige Tropfen Blut. Was Portia merkt, weshalb sie flugs Kehrt macht, das Verbot auch dieser zweiten Art ausspricht und folglich auch wieder von der Beschneidung des Fleisches redet.
Da aber Shylock nicht verstanden hat, was das mit der Beschneidung des Herzens soll, hat er auch nicht widerlegt. Und so kann Portia ihm rabulistisch vorhalten, Antonios Tod in Kauf genommen zu haben.

Ganz zum Abschluß gehe ich noch auf den am Anfang Deines Postings gemachten Einwand ein. Du schreibst : "Shylock sagt nicht "im Herzen", sondern "nearest to his heart" (IV.i.250) und gibst eine Antwort, von der ich nicht erkennen kann, was sie beantworten soll: "davon abgesehen steht dies aber explizit auch in den tradierten vorshakespeareanischen Texten, die Fleischpfandgeschichte des unbarmherzigen Juden erzählen, dann kommt die Ballade des Gernutus - darüber nachher mehr.
Einmal sagt Shyxlock dies natürlich, aber als Nachfrage, zumindest interpretiere ich so das Fragezeichen. Ich weiß nicht, wie anders man Fragezeichen verstehen soll, als daß einer nicht weiß, was gemeint ist, oder nicht sicher ist, was gemeint ist. Dann weiß ich wirklich nicht, was Du da gegen meine Postings einzuwenden hast. Ich entnehme Deinem Posting, dass ich leugne, Shylock wolle wirklich kein "Pfund Fleisch". Ich habe nur gesagt: das steht als Metapher für Beschneidung. Die vorshakespeareanische Geschichte von Alexandre Sylvain hast Du nicht zitiert. "The Ballad of Gernutus" ist wohl kein so gutes Beispiel. Es ist dort, wie Du schreibst, ein Pfund Fleisch an einer Stelle, unten auf der rechten Seite: "from under his right side". Das ist doch die Hüfte, nicht wahr? In den Targumen, den annotierten Bibeln in aramäischer Sprache, kommt einmal ausgerechnet dieses Bild des Beschneidens der Hüfte als Euphemismus für die Beschneidung des Phallos vor. Ob der Balladendichter dies gewußt hat, weiß ich nicht. Aber mindestens zwei plausible Erklärungen sind möglich. Erstens: es gab irgendeine frühere Fassung vom "Kaufmann von Venedig", in der statt vom Herzen von der Hüfte die Rede war. Zweitens: die Metonymie ist ja nach Roman Jakobson eine grundlegende Sprachschöpfungskategorie, die Bezeichnung von etwas, das benachbart ist, das mit dem Gemeinten in einem Kontiguitätsverhältnis steht; was dasselbe ist wie die Freudsche Verschiebung. Also könnte unsere Balladendichter einfach eine Metonymie benutzt haben.
Ich würde bei den Euphemismen noch einen Schritt weiter zu gehen wagen, bis zu Adams Rippe - da höre ich auf. War vermutlich auch nur ein Euphemismus für etwas anders. Ich würde fast wetten, dass dieses Bild in einigen Bibelübersetzungen durch "Hüfte" übersetzt ist.

Und nebenbei: Shylock gebärdet sich alles andere als barbarisch im Gerichtssaal.

Liebe Grüße
Robert

Und wieder gab es eine Antwort von Klaus Peter, eine Letzte...

 

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