Zweite Szene
Der Wald
Orlando kommt mit einem Blatt Papier
Orlando.
Da häng, mein Vers, der Liebe zum Beweis!
Und du, o Königin der Nacht dort oben,
Sieh keuschen Blicks aus deinem blassen Kreis
Den Namen deiner Jägrin hier erhoben.
O Rosalinde! sei der Wald mir Schrift:
Ich grabe mein Gemüt in alle Rinden,
Daß jedes Aug, das diese Bäume trifft,
Ringsum bezeugt mag deine Tugend finden.
Auf, auf, Orlando! rühme spät und früh
Die schöne, keusche, unnennbare «sie». (Ab.)
Corinnus und Probstein treten auf.
Corinnus.
Und wie gefällt Euch dies Schäferleben, Meister Probstein?
Probstein.
Wahrhaftig, Schäfer, an und für sich betrachtet, ist es
ein gutes Leben; aber in Betracht, daß es ein Schäferleben
ist, taugt es nichts. In Betracht, daß es einsam ist, mag
ich es wohl leiden; aber in Betracht, daß es stille ist, ist
es ein sehr erbärmliches Leben. Ferner in Betracht, daß
es auf dem Lande ist, steht es mir an; aber in Betracht, daß
es nicht am Hofe ist, wird es langweilig. Insofern es ein mäßiges
Leben ist, seht Ihr, ist es nach meinem Sinn; aber insofern es nicht
reichlicher dabei zugeht, streitet es sehr gegen meine Neigung.
Verstehst Philosophie, Schäfer?
Corinnus.
Mehr nicht, als daß ich weiß, daß einer sich desto
schlimmer befindet, je kränker er ist; und wem's an Geld, Gut
und Genügen gebricht, daß dem drei gute Freunde fehlen;
daß des Regens Eigenschaft ist, zu nässen, und des Feuers,
zu brennen; daß gute Weide fette Schafe macht und die Nacht
hauptsächlich vom Mangel an Sonne kommt; daß einer, der
weder durch Natur noch Kunst zu Verstand gekommen wäre, sich
über die Erziehung zu beklagen hätte, oder aus einer sehr
dummen Sippschaft sein müßte.
Probstein.
So einer ist ein natürlicher Philosoph. Warst je am Hofe, Schäfer?
Corinnus.
Nein, wahrhaftig nicht.
Probstein.
So wirst du in der Hölle gebraten.
Corinnus.
Ei, ich hoffe -
Probstein.
Wahrhaftig, du wirst gebraten wie ein schlecht geröstet Ei,
nur an einer Seite.
Corinnus.
Weil ich nicht am Hofe gewesen bin? Euren Grund!
Probstein.
Nun: wenn du nicht am Hofe gewesen bist, so hast du niemals gute
Sitten gesehn. Wenn du niemals gute Sitten gesehn hast, so müssen
deine schlecht sein, und alles Schlechte ist Sünde, und Sünde
führt in die Hölle. Du bist in einem verfänglichen
Zustande, Schäfer.
Corinnus.
Ganz und gar nicht, Probstein. Was bei Hofe gute Sitten sind, die
sind so lächerlich auf dem Lande, als ländliche Weise
bei Hofe zum Spott dient. Ihr sagtet mir, bei Hofe grüßt
Ihr nicht, ohne Eure Hand zu küssen. Das wäre eine sehr
unreinliche Höflichkeit, wenn Hofleute Schäfer wären.
Probstein.
Den Beweis, kürzlich, den Beweis?
Corinnus.
Nun, wir müssen unsre Schafe immer angreifen, und ihre Felle
sind fettig, wie Ihr wißt.
Probstein.
Schwitzen die Hände unserer Hofleute etwa nicht, und ist das
Fett von einem Schafe nicht so gesund wie der Schweiß von
einem Menschen? Einfältig! einfältig! Einen besseren Beweis!
her damit!
Corinnus.
Auch sind unsre Hände hart.
Probstein.
Eure Lippen werden sie desto eher fühlen. Wiederum einfältig!
Einen tüchtigeren Beweis!
Corinnus.
Und sind oft ganz beteert vom Bepflastern unsrer Schafe. Wollt Ihr,
daß wir Teer küssen sollen? Die Hände der Hofleute
riechen nach Bisam.
Probstein.
Höchst einfältiger Mensch! Du wahre Würmerspeise
gegen ein gutes Stück Fleisch! Lerne von den Weisen und erwäge!
Bisam ist von schlechterer Abkunft als Teer: der unsaubre Abgang
einer Katze. Einen bessern Beweis, Schäfer!
Corinnus.
Ihr habt einen zu höfischen Witz für mich; ich lasse es
dabei bewenden.
Probstein.
Was? bei der Hölle? Gott helfe dir, einfältiger Mensch!
Gott eröffne dir das Verständnis! Du bist ein Strohkopf.
Corinnus.
Herr, ich bin ein ehrlicher Tagelöhner; ich verdiene, was ich
esse, erwerbe, was ich trage, hasse keinen Menschen, beneide niemandes
Glück, freue mich über andrer Leute Wohlergehn, bin zufrieden
mit meinem Ungemach, und mein größter Stolz ist, meine
Schafe weiden und meine Lämmer saugen zu sehn.
Probstein.
Das ist wieder eine einfältige Sünde von Euch, daß
Ihr die Schafe und die Böcke zusammenbringt und Euch nicht
schämt, von der Begattung des Viehes Euren Unterhalt zu ziehn;
daß ihr den Kuppler für einen Leithammel macht und so
ein jähriges Lamm einem schiefbeinigen alten Hahnrei von Widder
überantwortet gegen alle Regeln des Ehestandes. Wenn du dafür
nicht in die Hölle kommst, so will der Teufel selbst keine
Schäfer; sonst sehe ich nicht, wie du entwischen könntest.
Corinnus.
Hier kommt der junge Herr Ganymed, meiner neuen Herrschaft Bruder.
Rosalinde kommt mit einem Blatt
Papier.
Rosalinde (liest).
«Von Ost bis West, in beiden Inden
Ist kein Juwel gleich Rosalinden;
Ihr Wert, beflügelt von den Winden,
Trägt durch die Welt hin Rosalinden.
Alle Schilderein erblinden
Bei dem Glanz von Rosalinden;
Keinen Reiz soll man verkünden
Als den Reiz von Rosalinden.»
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Probstein.
So will ich Euch acht Jahre hintereinander reimen, Essens- und Schlafenszeit
ausgenommen; es ist der wahre Butterfrauentrab, wenn sie zu Markte
gehn.
Rosalinde.
Fort mit dir, Narr!
Probstein.
Zur Probe:
Sehnt der Hirsch sich nach den Hinden:
Laßt ihn suchen Rosalinden.
Will die Katze sich verbinden:
Glaubt, sie macht's gleich Rosalinden.
Reben müssen Bäum umwinden:
So tut's nötig Rosalinden.
Wer da mäht, muß Garben binden
Auf den Karrn mit Rosalinden.
Süße Nuß hat saure Rinden;
Solche Nuß gleicht Rosalinden.
Wer süße Rosen sucht, muß finden
Der Liebe Dorn und Rosalinden.
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Das ist der eigentliche falsche Versgalopp. Warum
behängt Ihr Euch mit ihnen?
Rosalinde.
Still, dummer Narr! Ich fand sie an einem Baum.
Probstein.
Wahrhaftig, der Baum trägt schlechte Früchte.
Rosalinde.
Ich will Euch auf ihn impfen, und dann wird er Mispeln tragen: denn
Eure Einfälle verfaulen, ehe sie halb reif sind, und das ist
eben die rechte Tugend einer Mispel.
Probstein.
Ihr habt gesprochen, aber ob gescheit oder nicht, das mag der Wald
richten.
Celia kommt mit einem Blatt Papier.
Rosalinde.
Still! hier kommt meine Schwester und liest; gehn wir beiseit.
Celia.
«Sollten schweigen diese Räume,
Weil sie unbevölkert? Nein.
Zungen häng ich an die Bäume,
Daß sie reden Sprüche fein;
Bald, wie rasch das Menschenleben
Seine Pilgerfahrt durchläuft;
Wie die Zeit, ihm zugegeben,
Eine Spanne ganz begreift;
Bald, wie Schwüre falsch sich zeigen,
Wie sich Freund vom Freunde trennt.
Aber an den schönsten Zweigen
Und an jedes Spruches End
Soll man Rosalinde lesen,
Und verbreiten soll der Ruf,
Daß der Himmel aller Wesen
Höchsten Ausbund in ihr schuf.
Drum hieß die Natur sein Wille Eine menschliche
Gestalt
Zieren mit der Gaben Fülle;
Die Natur mischt' alsobald
Helenens Wange, nicht ihr Herz;
Kleopatrens Herrlichkeit;
Atalantens leichten Scherz
Und Lukreziens Sittsamkeit.
So ward durch einen Himmelsbund
Aus vielen Rosalind ersonnen,
Aus manchem Herzen, Aug und Mund,
Auf daß sie jeden Reiz gewonnen;
Der Himmel gab ihr dieses Recht
Und tot und lebend mich zum Knecht.»
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Rosalinde.
O gütiger Jupiter! - Mit welcher langweiligen Liebespredigt
habt Ihr da Eure Gemeinde müde gemacht und nicht einmal gerufen:
«Geduld, gute Leute!»
Celia.
Seht doch, Freunde hinterm Rücken? - Schäfer, geh ein
wenig abseits. - Geh mit ihm, Bursch.
Probstein.
Kommt, Schäfer, laßt uns einen ehrenvollen Rückzug
machen, wenngleich nicht mit Sang und Klang, doch mit Sack und Pack.
(Corinnus und Probstein ab.)
Celia.
Hast du diese Verse gehört?
Rosalinde.
O ja, ich hörte sie alle und noch was drüber; denn einige
hatten mehr Füße, als die Verse tragen konnten.
Celia.
Das tut nichts, die Füße konnten die Verse tragen.
Rosalinde.
Ja, aber die Füße waren lahm und konnten sich nicht außerhalb
des Verses bewegen, und darum standen sie so lahm im Verse.
Celia.
Aber hast du gehört, ohne dich zu wundern, daß dein Name
an den Bäumen hängt und eingeschnitten ist?
Rosalinde.
Ich war schon sieben Tage in der Woche über alles Wundern hinaus,
ehe du kamst: denn sieh nur, was ich an einem Palmbaum fand. Ich
bin nicht so bereimt worden seit Pythagoras' Zeiten, wo ich eine
Ratte war, die sie mit schlechten Versen vergifteten, wessen ich
mich kaum noch erinnern kann.
Celia.
Rätst du, wer es getan hat?
Rosalinde.
Ist es ein Mann?
Celia.
Mit einer Kette um den Hals, die du sonst getragen hast. Veränderst
du die Farbe?
Rosalinde.
Ich bitte dich, wer?
Celia.
O Himmel! Himmel! Es ist ein schweres Ding für Freunde, sich
wieder anzutreffen; aber Berg und Tal kommen im Erdbeben zusammen.
Rosalinde.
Nein, sag, wer ist's?
Celia.
Ist es möglich?
Rosalinde.
Ich bitte dich jetzt mit der allerdringendsten Inständigkeit,
sag mir, wer er ist.
Celia.
O wunderbar, wunderbar und höchst wunderbarlich wunderbar und
nochmals wunderbar und über alle Wunder weg.
Rosalinde.
O du liebe Ungeduld! Denkst du, weil ich wie ein Mann ausstaffiert
bin, daß auch meine Gemütsart in Wams und Hosen ist?
Ein Zollbreit mehr Aufschub ist eine Südsee weit von der Entdeckung.
Ich bitte dich, sag mir, wer ist es? Geschwind, und sprich hurtig!
Ich wollte, du könntest stottern, daß dir dieser verborgne
Mann aus dem Munde käme wie Wein aus einer enghalsigen Flasche:
entweder zuviel auf einmal oder gar nichts. Ich bitte dich, nimm
den Kork aus deinem Munde, damit ich deine Zeitungen trinken kann.
Celia.
Da könntest du einen Mann mit in den Leib bekommen.
Rosalinde.
Ist er von Gottes Machwerk? Was für eine Art von Mann? Ist
sein Kopf einen Hut wert oder sein Kinn einen Bart?
Celia.
Nein, er hat nur wenig Bart.
Rosalinde.
Nun, Gott wird mehr bescheren, wenn der Mensch recht dankbar ist;
ich will den Wuchs von seinem Bart schon abwarten, wenn du mir nur
die Kenntnis von seinem Kinn nicht länger vorenthältst.
Celia.
Es ist der junge Orlando, der den Ringer und dein Herz in einem
Augenblick zu Falle brachte.
Rosalinde.
Nein, der Teufel hole das Spaßen! Sag auf dein ehrlich Gesicht
und Mädchentreue.
Celia.
Auf mein Wort, Muhme, er ist es.
Rosalinde.
Orlando?
Celia.
Orlando.
Rosalinde.
Ach liebe Zeit! Was fange ich nun mit meinem Wams und Hosen an?
- Was tat er, wie du ihn sahst? Was sagte er? Wie sah er aus? Wie
trug er sich? Was macht er hier? Frug er nach mir? Wo bleibt er?
Wie schied er von dir, und wann wirst du ihn wiedersehn? Antworte
mir mit einem Wort.
Celia.
Da mußt du mir erst Gargantuas Mund leihen; es wäre ein
zu großes Wort für irgendeinen Mund, wie sie heutzutage
sind. Ja und nein auf diese Artikel zu sagen ist mehr, als in einer
Kinderlehre antworten.
Rosalinde.
Aber weiß er, daß ich in diesem Lande bin, und in Mannskleidern?
Sieht er so munter aus, wie an dem Tage, wo wir ihn ringen sahen?
Celia.
Es ist ebenso leicht, Sonnenstäubchen zu zählen als die
Aufgaben eines Verliebten zu lösen. Doch nimm ein Pröbchen
von meiner Entdeckung und koste es recht aufmerksam. - Ich fand
ihn unter einem Baum wie eine abgefallne Eichel.
Rosalinde.
Der mag wohl Jupiters Baum heißen, wenn er solche Früchte
fallen läßt.
Celia.
Verleiht mir Gehör, wertes Fräulein.
Rosalinde.
Fahret fort.
Celia.
Da lag er, hingestreckt wie ein verwundeter Ritter.
Rosalinde.
Wenn es gleich ein Jammer ist, solch einen Anblick zu sehn, so muß
er sich doch gut ausgenommen haben.
Celia.
Ruf deiner Zunge «Holla» zu, ich bitte dich; sie macht
zur Unzeit Sprünge. Er war wie ein Jäger gekleidet.
Rosalinde.
O Vorbedeutung! Er kommt, mein Herz zu erlegen.
Celia.
Ich möchte mein Lied ohne Chor singen; du bringst mich aus
der Weise.
Rosalinde.
Wißt Ihr nicht, daß ich ein Weib bin? Wenn ich denke,
muß ich sprechen. Liebe, sag weiter.
Orlando und Jacques treten auf.
Celia.
Du bringst mich heraus. - Still! kommt er da nicht?
Rosalinde.
Er ist's! Schlüpft zur Seite und laßt uns ihn aufs Korn
nehmen.
(Celia und Rosalinde verbergen
sich.)
Jacques.
Ich danke Euch für geleistete Gesellschaft; aber meiner Treu,
ich wäre ebensogern allein gewesen.
Orlando.
Ich auch; aber um der Sitte willen danke ich Euch gleichfalls für
Eure Gesellschaft.
Jacques.
Der Himmel behüt Euch! Laßt uns sowenig zusammenkommen
wie möglich.
Orlando.
Ich wünsche mir Eure entferntere Bekanntschaft.
Jacques.
Ich ersuche Euch, verderbt keine Bäume weiter damit, Liebeslieder
in die Rinden zu schneiden.
Orlando.
Ich ersuche Euch, verderbt meine Verse nicht weiter damit, sie erbärmlich
abzulesen.
Jacques.
Rosalinde ist Eurer Liebsten Name?
Orlando.
Wie Ihr sagt.
Jacques.
Ihr Name gefällt mir nicht.
Orlando.
Es war nicht die Rede davon, Euch zu gefallen, wie sie getauft wurde.
Jacques.
Von welcher Statur ist sie?
Orlando.
Grade so hoch wie mein Herz.
Jacques.
Ihr seid voll artiger Antworten. Habt Ihr Euch etwa mit Goldschmiedweibern
abgegeben und solche Sprüchlein von Ringen zusammengelesen?
Orlando.
Das nicht; aber ich antworte Euch wie die Tapetenfiguren, aus deren
Munde Ihr Eure Fragen studiert habt.
Jacques.
Ihr habt einen behenden Witz; ich glaube, er ist aus Atalantens
Fersen gemacht. Wollt Ihr Euch mit mir setzen, so wollen wir zusammen
über unsre Gebieterin, die Welt, und unser ganzes Elend schmähen.
Orlando.
Ich will kein lebendig Wesen in der Welt schelten als mich selber,
an dem ich die meisten Fehler kenne.
Jacques.
Der ärgste Fehler, den Ihr habt, ist, verliebt zu sein.
Orlando.
Das ist ein Fehler, den ich nicht mit Eurer besten Tugend vertauschte.
- Ich bin Eurer müde.
Jacques.
Meiner Treu, ich suchte eben einen Narren, da ich Euch fand.
Orlando.
Er ist in den Bach gefallen; guckt nur hinein, so werdet Ihr ihn
sehn.
Jacques.
Da werde ich meine eigne Person sehen.
Orlando.
Die ich entweder für einen Narren oder eine Null halte.
Jacques.
Ich will nicht länger bei Euch verweilen. Lebt wohl, guter
Signor Amoroso!
Orlando.
Ich freue mich über Euren Abschied. Gott befohlen, guter Monsieur
Melancholie!
(Jacques ab.)
Celia und Rosalinde treten vor.
Rosalinde.
Ich will wie ein naseweiser Lakai mit ihm sprechen und ihn unter
der Gestalt zum besten haben. - Hört Ihr, Jäger?
Orlando.
Recht gut; was wollt Ihr?
Rosalinde.
Sagt mir doch, was ist die Glocke?
Orlando.
Ihr solltet mich fragen, was ist's an der Zeit; es gibt keine Glocke
im Walde.
Rosalinde.
So gibts auch keinen rechten Liebhaber im Walde, sonst würde
jede Minute ein Seufzen und jede Stunde ein Ächzen den trägen
Fuß der Zeit so gut anzeigen wie eine Glocke.
Orlando.
Und warum nicht den schnellen Fuß der Zeit? Wäre das
nicht ebenso passend gewesen?
Rosalinde.
Mitnichten, mein Herr. Die Zeit reiset in verschiednem Schritt mit
verschiednen Personen. Ich will Euch sagen, mit wem die Zeit den
Paß geht, mit wem sie trabt, mit wem sie galoppiert und mit
wem sie stillsteht.
Orlando.
Ich bitte dich, mit wem trabt sie?
Rosalinde.
Ei, sie trabt hart mit einem jungen Mädchen zwischen der Verlobung
und dem Hochzeitstage. Wenn auch nur acht Tage dazwischen hingehn,
so ist der Trab der Zeit so hart, daß es ihr wie acht Jahre
vorkommt.
Orlando.
Mit wem geht die Zeit den Paß?
Rosalinde.
Mit einem Priester, dem es an Latein gebricht, und einem reichen
Manne, der das Podagra nicht hat. Denn der eine schläft ruhig,
weil er nicht studieren kann, und der andre lebt lustig, weil er
keinen Schmerz fühlt; den einen drückt nicht die Last
dürrer und auszehrender Gelehrsamkeit, der andre kennt die
Last schweren mühseligen Mangels nicht. Mit diesen geht die
Zeit den Paß.
Orlando.
Mit wem galoppiert sie?
Rosalinde.
Mit dem Diebe zum Galgen; denn ginge er auch noch sosehr Schritt
vor Schritt, so denkt er doch, daß er zu früh kommt.
Orlando.
Mit wem steht sie still?
Rosalinde.
Mit Advokaten in den Gerichtsferien; denn sie schlafen von Session
zu Session und werden also nicht gewahr, wie die Zeit fortgeht.
Orlando.
Wo wohnt Ihr, artiger junger Mensch?
Rosalinde.
Bei dieser Schäferin, meiner Schwester; hier am Saum des Waldes,
wie Fransen an einem Rock.
Orlando.
Seid Ihr hier einheimisch?
Rosalinde.
Wie das Kaninchen, das zu wohnen pflegt, wo es zur Welt gekommen
ist.
Orlando.
Eure Aussprache ist etwas feiner, als Ihr sie an einem so abgelegnen
Ort Euch hättet erwerben können.
Rosalinde.
Das haben mir schon viele gesagt; aber in der Tat, ein alter geistlicher
Onkel von mir lehrte mich reden; er war in seiner Jugend ein Städter
und gar zu gut mit dem Hofmachen bekannt, denn er verliebte sich
dabei. Ich habe ihn manche Predigt dagegen halten hören und
danke Gott, daß ich kein Weib bin und keinen Teil an allen
den Verkehrtheiten habe, die er ihrem ganzen Geschlecht zur Last
legte.
Orlando.
Könnt Ihr Euch nicht einiger von den vornehmsten Untugenden
erinnern, die er den Weibern aufbürdete?
Rosalinde.
Es gab keine vornehmsten darunter; sie sahen sich alle gleich wie
Pfennige: jeder einzelne Fehler schien ungeheuer, bis sein Mitfehler
sich neben ihn stellte.
Orlando.
Bitte, sagt mir einige davon.
Rosalinde.
Nein, ich will meine Arznei nicht wegwerfen, außer an Kranke.
Es spukt hier ein junger Mensch im Walde herum, der unsre junge
Baumzucht mißbraucht, den Namen Rosalinde in die Rinden zu
graben, der Oden an Weißdorne hängt und Elegien an Brombeersträuche,
alle - denkt doch! - um den Namen Rosalinde zu vergöttern.
Könnte ich diesen Herzenskrämer antreffen, so gäbe
ich ihm einen guten Rat, denn er scheint mit dem täglichen
Liebesfieber behaftet.
Orlando.
Ich bin's, den die Liebe so schüttelt; ich bitte Euch, sagt
mir Euer Mittel.
Rosalinde.
Es ist keins von meines Onkels Merkmalen an Euch zu finden. Er lehrte
mich einen Verliebten erkennen; ich weiß gewiß, Ihr
seid kein Gefangner in diesem Käfig.
Orlando.
Was waren seine Merkmale?
Rosalinde.
Eingefallne Wangen, die Ihr nicht habt; Augen mit blauen Rändern,
die Ihr nicht habt; ein ungeselliger Sinn, den Ihr nicht habt; ein
verwilderter Bart, den Ihr nicht habt - doch den erlasse ich Euch,
denn, aufrichtig, was Ihr an Bart besitzet, ist eines jüngeren
Bruders Einkommen. - Dann sollten Eure Kniegürtel lose hängen,
Eure Mütze nicht gebunden sein, Eure Ärmel aufgeknöpft,
Eure Schuhe nicht zugeschnürt, und alles und jedes an Euch
müßte eine nachlässige Trostlosigkeit verraten.
Aber solch ein Mensch seid ihr nicht. Ihr seid vielmehr geschniegelt
in Eurem Anzuge, mehr wie einer, der in sich selbst verliebt als
sonst jemands Liebhaber ist.
Orlando.
Schöner Junge, ich wollte, ich könnte dich glauben machen,
daß ich liebe.
Rosalinde.
Mich das glauben machen? Ihr könntet es ebensogut Eure Liebste
glauben machen, was nie zu tun williger ist - dafür steh ich
Euch - als zu gestehn, daß sie es tut; das ist einer von den
Punkten, worin die Weiber immer ihr Gewissen Lügen strafen.
Aber in ganzem Ernst: seid Ihr es, der die Verse an die Bäume
hängt, in denen Rosalinde so bewundert wird?
Orlando.
Ich schwöre dir, junger Mensch, bei Rosalindens weißer
Hand: ich bin es, ich bin der Unglückliche.
Rosalinde.
Aber seid Ihr so verliebt, als Eure Reime bezeugen?
Orlando.
Weder Gereimtes noch Ungereimtes kann ausdrücken, wie sehr.
Rosalinde.
Liebe ist eine bloße Tollheit, und ich sage Euch, verdient
ebensogut eine dunkle Zelle und Peitsche als andre Tolle; und die
Ursache, warum sie nicht so gezüchtigt und geheilt wird, ist,
weil sich dieser Wahnsinn so gemein gemacht hat, daß die Zuchtmeister
selbst verliebt sind. Doch kann ich sie mit gutem Rat heilen.
Orlando.
Habt Ihr irgendwen so geheilt?
Rosalinde.
Ja, einen, und zwar auf folgende Weise. Er mußte sich einbilden,
daß ich seine Liebste, seine Gebieterin wäre, und alle
Tage hielt ich ihn an, um mich zu werben. Ich, der ich nur ein launenhafter
Junge bin, grämte mich dann, war weibisch, veränderlich,
wußte nicht, was ich wollte, stolz, phantastisch, grillenhaft,
läppisch, unbeständig, bald in Tränen, bald voll
Lächeln, von jeder Leidenschaft etwas und von keiner etwas
Rechtes, wie Kinder und Weiber meistenteils in diese Farben schlagen.
Bald mochte ich ihn leiden, bald konnte ich ihn nicht ausstehn;
dann machte ich mir mit ihm zu schaffen, dann sagte ich mich von
ihm los; jetzt weinte ich um ihn, jetzt spie ich vor ihm aus: so
daß ich meinen Bewerber aus einem tollen Anfall von Liebe
in einen leibhaften Anfall von Tollheit versetzte, welche darin
bestand, das Getümmel der Welt zu verschwören und in einem
mönchischen Winkel zu leben. Und so heilte ich ihn, und auf
diese Art nehme ich es über mich, Euer Herz so reinzuwaschen,
wie ein gesundes Schafherz, daß nicht ein Flecken Liebe mehr
daran sein soll.
Orlando.
Ihr würdet mich nicht heilen, junger Mensch.
Rosalinde.
Ich würde Euch heilen, wolltet Ihr mich nur Rosalinde nennen
und alle Tage in meine Hütte kommen und um mich werben.
Orlando.
Nun, bei meiner Treue im Lieben, ich will es; sagt mir, wo sie ist.
Rosalinde.
Geht mit mir, so will ich sie Euch zeigen, und unterwegs sollt Ihr
mir sagen, wo Ihr hier im Walde wohnt. Wollt Ihr kommen?
Orlando.
Von ganzem Herzen, guter Junge.
Rosalinde.
Nein, Ihr müßt mich Rosalinde nennen. - Komm, Schwester,
laßt uns gehn.
(Alle ab.)
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