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Vorbemerkungen des Einsenders:

Ich habe Dorothea Tiecks Übersetzung von Shakespeares The Life of Timon of Athens nicht nur aus einer mir zur Verfügung stehenden Buchausgabe eingescannt und die OCR-Ausgabe nachkorregiert, sondern auch mit dem englischen Originaltext verglichen. Dabei ging es mir nicht darum, Ungenauigkeiten in der Übersetzung der Dialoge aufzuspüren, die bei einem solchen Werk selbstverständlich unvermeidbar sind, sondern nur darum, festzustellen, ob die Übersetzung Passagen des Originals ausläßt (was nicht der Fall ist) oder andere schnell erkennbare Abweichungen enthält, z.B. abweichende Regieansweisungen.

Für den Vergleich habe ich die Version des Project Gutenberg Shakespeare Team's verwendet. Ich habe die Resultate dieses Vergleichs folgendermaßen in den Text eingebaut: Zusätzliche Texte im Original erscheinen in grüner Schrift in meiner eigenen Übersetzung. Texte der Übersetzung ohne Entsprechung im Original erscheinen in grünen, eckigen Klammern [ ].

Die Abweichungen beruhen keinesfalls alle auf einer Willkür der Übersetzerin, sondern (und das gilt in besonderem Maße für die Regieanweisungen) sehr oft auf unterschiedlichen Lesarten des englischen Textes, wie man bereits an den verschiedenen, online verfügbaren Versionen des Originaltextes ersehen kann: Die drei Versionen, die im amerikanischen Project Gutenberg angeboten werden, the Complete Moby Shakespeare (als HTML-Datei beim MIT, als Textdatei u.a. auf dem English Server der Carnegie Mellon University) und die digitale Rekonstruktion einer Ausgabe von 1725 in der digitalen Bibliothek der Universität Bielefeld.

William Shakespeare


Das Leben des Timon von Athen


Übersetzt von Dorothea Tieck







PERSONEN

TIMON, ein edler Athener
LUCIUS
LUCULLUS
SEMPRONIUS
} schmeichlerische Lords
VENTIDIUS, einer von Timons falschen Freunden
[ } seine Freunde]
APEMANTUS, ein ungehobelter Philosoph
ALCIBIADES, ein athenischer Feldherr
FLAVIUS, Timons Haushofmeister
FLAMINIUS, LUCILIUS, SERVILIUS [und ein weiterer]: DIENER Timons
CAPHIS, PHILOTUS, TITUS, [LUCIUS,] HORTENSIUS, Diener von Timons Gläubigern, [ferner zwei DIENER des Varro, ein DIENER des Isidor
Je ein DIENER des Ventidius, des Lucullus, des Lucius]
Diener des Ventidius, sowie des Varro und Isidor (zwei von Timons Gläubigern)
CUPIDO und als Amazonen maskierte DAMEN
Ein DICHTER, ein MALER, ein KAUFMANN, ein JUWELIER
Ein alter ATHENER
Ein PAGE
Ein NARR
[Mehrere SENATOREN
Mehrere LORDS]
Drei FREMDE
[Mehrere BANDITEN
Ein BOTE, ein SOLDAT]
PHRYNIA und TIMANDRA, Kurtisanen des Alcibiades
Lords, Senatoren, Offiziere, Diener, Diebe, Krieger und Gefolge

Die Szene ist in Athen und dem nahen Walde







ERSTER AKT

ERSTE SZENE

Athen. Vorsaal in Timons Hause


Der Dichter [und], der Maler, der Juwelier, der Kaufmann und andere treten durch unterschiedliche Türen auf.

DICHTER
Guten Tag!

MALER
            Mich freuts. Euch wohl zu sehn.

DICHTER
Ich sah Euch lange nicht. Wie geht die Welt?

MALER
Sie trägt sich ab im Lauf.

DICHTER
                           Das ist bekannt.
Doch welch besonder Seltnes, Fremdes, das
Vielfach Erzählen noch nicht kennt? - Doch seht:
[Der Kaufmann, der Juwelier und mehrere andre treten auf.]
Magie des Reichtums! Diese Geister alle
Beschwor dein Zauber her zum Dienst. Ich kenne
Den Kaufmann.

MALER
Ich beide: jener ist ein Juwelier.

KAUFMANN
Höchst würdig ist der Lord.

JUWELIER
                             Jenseit des Zweifels.

KAUFMANN
Ein Mann, höchst unvergleichbar, sozusagen
Geschult zu unermüdlich steter Güte:
Ein Musterbild.

JUWELIER
                 Hier hab ich ein Juwel.

KAUFMANN
O bitte, zeigt; für den Lord Timon wohl?

JUWELIER
Wenn er den Schätzpreis billigt - immerhin -

DICHTER
[rezitierend.]
Wenn wir um Lohn den Schändlichen gepriesen,
Dämpft es den Glanz des wohlgelungnen Reimes,
Des Kunst den Edeln singt.

KAUFMANN
den Stein betrachtend.
                            Ah, schön geschnitten!

JUWELIER
Und reich; das ist ein Wasser, seht nur selbst!

MALER
Ihr seid verzückt. Ein Werk, wohl eine Huldigung
Dem großen Lord?

DICHTER
                  Ein Ding, mir leicht entschlüpft.
Wie ein Gewand ist unsre Poesie,
Heilsam, wo man es hegt; das Feur im Stein
Glänzt nur, schlägt mans heraus; von selbst erregt
Sich unsre edle Flamm, flieht, gleich dem Strom,
Zurück von jeder Hemmung. - Was ist das?

MALER
Ein Bild, Herr. Wann tritt Euer Buch hervor?

DICHTER
Es folgt der Überreichung auf dem Fuß.
Zeigt mir das Stück.

MALER
                      Es ist ein gutes Stück.

DICHTER
Gewiß, dies hebt sich trefflich, herrlich ab.

MALER
So ziemlich.

DICHTER
              Unvergleichlich! Wie die Huld
Sein Wesen ausspricht! Und wie geistge Kraft
Aus diesem Auge blitzt! Wie Phantasie
Sich auf der Lippe regt! Stumme Gebärdung,
Die jeder möcht in Worten deuten.

MALER
Wohl leidlich hübsch das Leben nachgeäfft;
Hier ist ein Zug, der spricht!

DICHTER
                                Ich möchte sagen,
Er meistert die Natur: kunstreiches Streben
Lebt in der Farb lebendger als das Leben.
Einige Senatoren treten ein und gehen [nach den innern Gemächern] über die Bühne.

MALER
Wie viele Freunde hat der Edle!

DICHTER
Athensche Senatoren! - Die Beglückten!

MALER
Schaut, mehr noch!

DICHTER
Seht den Zusammenfluß, den Schwall der Freunde! -
Ich zeichne einen Mann in dem Entwurf,
Den diese irdische Welt umfängt und hegt
Mit reichster Gunst; mein freier Zug wird nirgend
Gehemmt durch einzelnes, nein, segelt fort
In weiter, klarer See; kein boshaft Zielen
Vergiftet eine Silbe meiner Fahrt;
Sie fliegt den Adlerflug, kühn, stets gradaus,
Kein Wölkchen hinter sich.

MALER
                            Wie soll ich Euch verstehn?

DICHTER
Ich will es Euch entriegeln:
Ihr seht, wie alle Ständ und alle Menschen,
Sowohl von leicht geschmeidgem Sinn, als auch
Von strenger, ernster Art, dem Timon weihn
In Demut ihren Dienst. Sein großer Reichtum,
Umkleidend seinen adlig gütgen Sinn,
Bezwingt und kauft für seine Lieb und Herrschaft
Ein jeglich Herz. Ja, von des Schmeichlers Spiegelantlitz,
Zu Apemantus selbst, der nichts so liebt,
Als er sich selber haßt: auch er beugt ihm
Sein Knie und kehrt in Frieden heim, bereichert
Vom Nicken Timons.

MALER
                    Ich sahs, er sprach mit ihm.

DICHTER
Ich stelle dar auf lieblich grünem Hügel,
Fortuna thronend; an dem Fuß des Berges
Gedrängte Reihn von jedem Stand und Wesen,
Die auf der Wölbung dieser Sphäre streben,
Ihr Glück zu steigern; unter allen diesen,
Die auf die Königin den Blick geheftet,
Stell ich den einen dar in Timons Bildung,
Den zu sich winkt Fortunas elfne Hand;
Die volle Gunst verkehrt in Sklaven völlig,
Die eben Mitbewerber noch.

MALER
                            Welch Tiefsinn!
Fortuna und der Thron und Hügel, dünkt mich,
Der Ein', heraufgewinkt von allen unten,
Sein Haupt geneigt zum steilen Berg hinan,
Sein Glück erklimmend, wär ein schöner Vorwurf
Für unsre Kunst.

DICHTER
                  Nein, hört nur weiter, Freund:
All jene, die noch eben ihm Kamraden,
Ja, manch ihm vorzuziehn - von dem Moment
Folgen nur seinem Pfad; belagern Vorplatz
Und Hof mit Dienst;
Gießen vergötternd Flüstern in sein Ohr;
Selbst seinen Bügel heilgend, trinken sie
Die freie Luft durch ihn.

MALER
                           Nun, und was weiter?

DICHTER
Wenn nun Fortun, in Laun und Wankelmut,
Herabstößt ihren Günstling: all sein Troß,
Der hinter ihm den Berg hinauf sich mühte,
Auf Knien und Händen selbst, läßt hin ihn stürzen,
Nicht einer, der ihm folgt in seinem Fall.

MALER
Das ist gewöhnlich.
Ich kann derart Euch tausend Bilder weisen,
Die auch des Glückes schnellen Wandel malen,
Lebendger als das Wort. Doch tut Ihr wohl,
Zeigt Ihr Lord Timon, daß geringe Augen
Den Fuß schon höher als das Haupt gesehn.
Man hört Trompeten. Timon tritt auf mit Begleitung, verhält sich höflich gegen jeden Bittsteller, ein Diener des Ventidius spricht mit ihm. Lucilius und andere Diener folgen.

TIMON
Verhaftet ist er, sagst du?

DIENER
Ja, Herr, und fünf Talent ist seine Schuld,
Klein sein Vermögen, seine Gläubger hart;
Eur edles Fürwort spricht er an, bei denen,
Die ihn gefangen setzten; fehlt ihm dies,
So stirbt sein Trost.

TIMON
                       Edler Ventidius! Gut!
Nicht meine Weis' ists, abzuschütteln Freunde,
Wenn meiner sie bedürfen. Weiß ich doch,
Sein edler Sinn ist solcher Hülfe wert,
Die wird ihm, denn ich zahl, und er sei frei.

DIENER
Eur Gnaden wird auf ewig ihn verbinden.

TIMON
Empfiehl mich ihm! Gleich send ich seine Lösung;
Nachdem er frei, bitt ihn, zu mir zu kommen,
Denn nicht genug, dem Schwachen aufzuhelfen,
Auch stützen muß man ihn. So fahre wohl!

DIENER
Sei alles Glück mit meinem gnädgen Herrn!
Diener geht ab.
Ein alter Athener tritt auf.

ATHENER
Lord Timon, hör mich an!

TIMON
                          Sprich, guter Alter!

ATHENER
Du hast 'nen Diener, der Lucilius heißt?

TIMON
So ists. Was soll er?

ATHENER
Höchst edler Timon, laß ihn vor dich kommen!

TIMON
Ist er hier im Gefolge? - He, Lucilius!

LUCILIUS
[hervortretend.]
Hier, zu Euer Gnaden Dienst!

ATHENER
Der Mensch hier, edler Timon, er, dein Knecht,
Kommt abends oft zu mir. Ich bin ein Mann,
Der von früh auf was vor sich bringen wollte,
Und etwas höher sucht mein Gut den Erben,
Als der mit Tellern läuft.

TIMON
                            Nun gut, was weiter?

ATHENER
Ich hab nur eine Tochter, nichts Verwandtes,
Und ihr will ich mein ganzes Gut vermachen.
Schön ist das Mädchen, fast zu jung zur Braut,
Und ihr Erziehen hat mich viel gekostet,
Kein Lehrer war zu teuer. Er, dein Diener,
Geht ihr in Liebe nach; nun, edler Lord,
Weis' ihn mit mir aus meinem Hause fort!
Was ich sprach, war umsonst.

TIMON
                              Der Mann ist redlich.

ATHENER
So wird ers hier beweisen, würdger Timon.
Es wird sein redlich Tun sich selbst belohnen,
Es muß nicht meine Tochter just gewinnen.

TIMON
Und liebt sie ihn?

ATHENER
                    Jung ist sie, leicht gewonnen;
Uns lehrt der Irrtum unsrer eignen Jugend,
Wie unbedacht sie ist.

TIMON
zu Lucilius.
                        Liebst du das Mädchen?

LUCILIUS
Ja, teurer Herr, und mir ward Gegenliebe.

ATHENER
Wenn sie sich gegen meinen Willen vermählen
- Die Götter sein mir Zeugen -, so erwähl ich
Mir aus den Straßenbettlern einen Erben
Und nehm ihr alles.

TIMON
                     Was bestimmst du ihr,
Wird sie vermählt dem Gatten gleichen Standes?

ATHENER
Nun, drei Talente jetzt; in Zukunft alles.

TIMON
Der gut erzogne Jüngling dient mir lange;
Sein Glück zu baun tu ich ein übriges,
Denn das ist Menschenpflicht. Schenk ihm dein Kind;
Was du ihr gibst, soll er von mir erhalten,
Und so nicht leichter wiegen.

ATHENER
                               Edler Lord,
Zum Pfande deine Ehr, und sie ist sein.

TIMON
Schlag ein, ich halte Wort, bei meiner Ehre!

LUCILIUS
In Demut dank ich Euch, mein gnädger Lord;
Und nimmer mög ich Glück und Gut genießen,
Das Euch nicht angehört!
Lucilius und der alte Athener gehn ab.

DICHTER
sein Gedicht überreichend.
Nehmt huldreich auf dies Werk! Lebt lang und glücklich!

TIMON
Ich dank Euch sehr; bald sollt Ihr von mir hören:
Entfernt Euch nicht! - Was habt Ihr da, mein Freund?

MALER
Ein kleines Bild; geruht, mein Gnädger, nicht
Es zu verschmähn.

TIMON
                   Erfreulich ist ein Bild.
Das Bildwerk ist beinah der wahre Mensch,
Denn seit Ehrlosigkeit mit Menschheit schachert,
Ist er nur Außenseite; diese Färbung
Ist, was sie vorgibt. Mir gefällt dies Werk,
Und du erfährst, wie mirs gefällt; komm wieder
Zur Aufwartung, und du wirst von mir hören.

MALER
Der Himmel schütz Euch!

TIMON
Mein werter Herr, lebt wohl, gebt mir die Hand,
Wir speisen heut zusammen. - Euer Stein
Litt unter seiner Schätzung.

JUWELIER
Wie, Herr, so war er unterschätzt?

TIMON
Nein, Überfülle allerhöchsten Lobes.
Bezahlt ich ihn, so wie er angepriesen,
Würd es mich ganz entblößen.

JUWELIER
                              Seine Schätzung
Ist, wie Verkäufer zahlen würden; doch
Ein Ding, von gleichem Wert, den Eigner tauschend,
Wird, wie Ihr wißt, nach seinem Herrn geschätzt:
Daß Ihr ihn tragt, erhöht den Wert des Steins.

TIMON
Ein guter Spott!

KAUFMANN
Nein, edler Herr, er spricht, was üblich ist,
Wie jeder spricht gleich ihm.

TIMON
Seht, wer hier kommt. Wollt ihr euch schelten lassen?
Apemantus tritt auf.

JUWELIER
Wir teilen mit Eur Gnaden.

KAUFMANN
                            Er schont keinen.

TIMON
Sei mir willkommen, edler Apemantus.

APEMANTUS
Spar, bis ich edel werde, deinen Willkomm,
Dann bist du Timons Hund, die Schuft hier ehrlich.

TIMON
Was nennst du Schufte sie? Du kennst sie nicht.

APEMANTUS
Sind sie keine Athener?

TIMON
Doch.

APEMANTUS
So widerruf ich nicht.

JUWELIER
Ihr kennt mich, Apemantus.

APEMANTUS
Du weißt, ich tu's; ich nannte dich bei Namen.

TIMON
Du bist stolz, Apemantus.

APEMANTUS
Auf nichts so sehr, als daß ich nicht wie Timon bin.

TIMON
Wohin gehst du?

APEMANTUS
Einem ehrlichen Athener das Gehirn auszuschlagen.

TIMON
Das ist eine Tat, für die du sterben mußt.

APEMANTUS
Ja, wenn Nichtstun den Tod durch das Gesetz verdient.

TIMON
Wie gefällt dir dies Gemälde, Apemantus?

APEMANTUS
Gut, weil es nichts Böses tut.

TIMON
Richtete der nicht viel aus, der es malte?

APEMANTUS
Der noch mehr, der den Maler hervorbrachte; und doch ist der selbst nur ein schmutziges Stück.

MALER
Du bist ein Hund.

APEMANTUS
Deine Mutter ist von meinem Stamm; was ist sie, wenn ich ein Hund bin?

TIMON
Willst du mit mir zu Mittag speisen, Apemantus?

APEMANTUS
Nein, ich esse keine große Herren.

TIMON
Tätest du das, so würdest du die Frauen erzürnen.

APEMANTUS
Oh, die essen große Herren, und dadurch nehmen sie zu.

TIMON
Das ist eine unanständige Andeutung.

APEMANTUS
Wenn du sie deutest, nimm sie für deine Mühe.

TIMON
Wie gefällt dir dieser Edelstein, Apemantus?

APEMANTUS
Nicht so gut als Aufrichtigkeit, die doch keinem Menschen einen Heller kostet.

TIMON
Wieviel denkst du, daß er wert sei?

APEMANTUS
Nicht meines Denkens wert. - Wie stehts, Poet?

DICHTER
Wie stehts, Philosoph?

APEMANTUS
Du lügst.

DICHTER
Bist du keiner?

APEMANTUS
Doch.

DICHTER
So lüg ich nicht.

APEMANTUS
Bist du nicht ein Poet?

DICHTER
Ja.

APEMANTUS
So lügst du: sieh nur in dein neuestes Werk, wo du ersinnst, er sei ein würdger Mensch.

DICHTER
Das ist nicht ersonnen, er ist es wirklich.

APEMANTUS
Ja, er ist deiner wert, um dich für deine Arbeit zu bezahlen; wer die Schmeichelei liebt, ist des Schmeichlers würdig. Himmel, wäre ich doch ein Lord!

TIMON
Was wolltest du dann tun, Apemantus?

APEMANTUS
Dasselbe, was Apemantus jetzt tut, einen Lord von Herzen hassen.

TIMON
Wie, dich selbst?

APEMANTUS
Ja.

TIMON
Weshalb?

APEMANTUS
Daß mir aller grimmige Witz fehlte, um Lord zu bleiben. - Bist du nicht ein Kaufmann?

KAUFMANN
Ja, Apemantus.

APEMANTUS
Der Handel richte dich zugrunde, wenn es die Götter nicht tun!

KAUFMANN
Wenn es der Handel tut, so tun es die Götter.

APEMANTUS
Der Handel ist dein Gott, und dein Gott richte dich zugrunde!
Trompeten, es tritt ein Diener auf.

TIMON
Was für Trompeten?

DIENER
                    Alcibiades,
Mit zwanzig Rittern, seinen Kriegsgefährten.

TIMON
Geht, führt sie ein, geleitet sie zu uns!
Einige aus dem Gefolge gehn ab.
Ihr müßt heut mit mir speisen; - geht nicht fort,
Bis ich Euch dankte; nach der Mahlzeit dann
Zeigt uns das Bild! - Erfreut, Euch hier zu sehn.
Alcibiades und seine Gefährten treten auf.
Willkommen, Freund!
Sie begrüßen sich.

APEMANTUS
                     So, so, nun geht es los!
Gicht lähm und dörr euch die geschmeidgen Glieder!
Von Liebe nichts in all den süßen Schuften,
Und lauter Höflichkeit! Die Menschenbrut
Renkt sich in Aff und Pavian noch hinein.

ALCIBIADES
Ihr stilltet meine Sehnsucht, und ich schwelge
In Gier an Eurem Anblick.

TIMON
                           Sehr willkommen!
Und eh wir scheiden, eint uns manche Stunde
In Freud und Lust. Ich bitte, tretet ein.
Alle gehn ab, außer Apemantus. Zwei Lords treten auf.

ERSTER LORD
Was ist die Zeit am Tage, Apemantus?

APEMANTUS
Zeit, daß man ehrlich ist.

ERSTER LORD
                            Die Zeit ist immer.

APEMANTUS
Um so verruchter du, sie nie zu nutzen.

ZWEITER LORD
Gehst zu Lord Timons Fest?

APEMANTUS
Ja, um zu sehn, wie Schurken Speise nährt
Und Narren Wein erhitzt.

ZWEITER LORD
                          Leb wohl, leb wohl!

APEMANTUS
Du bist ein Narr, daß du mirs zweimal sagst.

ZWEITER LORD
Warum, Apemantus?

APEMANTUS
Du hättest das eine für dich behalten sollen, denn ich denke dir keines zu geben.

ERSTER LORD
Geh, häng dich auf!

APEMANTUS
Nein, ich tue nichts auf deinen Befehl; bring deine Gesuche bei deinem Freunde an.

ZWEITER LORD
Fort, du zänkischer Hund, oder ich stoße dich mit dem Fuß hinaus.

APEMANTUS
Ich will wie der Hund die Hufe des Esels fliehen.
Apemantus geht ab.

ERSTER LORD
Er ist ein Widerspiel der Menschheit. Kommt hinein,
Laßt Timons Güt uns kosten, sie ist reicher
Als selbst das Herz der Milde.

ZWEITER LORD
Er strömt sie aus; Plutus, der Gott des Goldes,
Ist sein Verwalter nur; wer ihn beschenkt,
Wird siebenfach belohnt; und keine Gabe,
Die nicht Vergeltung ihrem Geber bringt,
Weit über alles Maß.

ERSTER LORD
                      Das edelste
Gemüt hat er, das je im Menschen herrschte.

ZWEITER LORD
Er lebe lang und glücklich! Wolln wir gehn?

ERSTER LORD
Ja, ich begleite Euch.
Sie gehn ab.




ZWEITE SZENE

Daselbst. Prunksaal in Timons Hause


Oboen, laute Musik. Ein großes Bankett wird angerichtet. Flavius und andere Diener. Dann treten auf: Timon, Alcibiades, [Lucius, Sempronius, Lucullus,] Lords, Senatoren, Ventidius [und andre Senatoren] und Gefolge. Zuletzt Apemantus, übellaunig wie immer.

VENTIDIUS
Erlauchter Timon, Götterratschluß sandte
Zur langen Ruh den greisen Vater hin;
Er schied beglückt und hinterließ mich reich.
Drum, wie mich Lieb und Dankbarkeit verpflichten,
Erstatt ich deiner Großmut die Talente,
Zugleich dir dienstergeben, der durch sie
Mir Freiheit schuf.

TIMON
                     O nimmermehr, Ventidius!
Rechtschaffner Mann, da kränkt Ihr meine Liebe;
Ich gab sie weg auf immer. Wer zurücknimmt,
Kann nicht mit Recht behaupten, daß er gibt;
Wenn so der Große tut, nicht ziemt uns, nachzuspielen,
Weil an den Reichen stets die Fehler selbst gefielen.
[Sie stehn alle mit Ehrfurcht um Timon her.]

VENTIDIUS
Welch edler Geist!
Sie stehen alle feierlich da und blicken Timon an.

TIMON
                    Nein, Lords, die Zeremonie
Ward nur erfunden, einen Glanz zu leihn
Verstellter Freundlichkeit und hohlem Gruß,
Guttun vernichtend, um nicht zu gewähren,
Doch wahre Freundschaft kann sie ganz entbehren.
Setzt euch, ihr seid willkommner meinem Glück,
Als mir mein Reichtum ist.
Sie setzen sich.

ERSTER LORD
Mylord, das war stets unser Eingeständnis.

APEMANTUS
Ho! Eingeständnis? Folgt nicht Hängen drauf?

TIMON
O Apemantus, sei willkommen!

APEMANTUS
                              Nein,
Ich will nicht, daß du mich willkommen heißt;
Ich kam, damit du aus der Tür mich wirfst.

TIMON
Pfui, du bist grob verfallen einer Laune,
Dem Menschen ungeziemend, tadelnswürdig.
Sonst sagt man: ira furor brevis est,
Doch jener Mann ist immerfort ergrimmt. -
Du da, bereit ihm seinen eignen Tisch,
Denn er sucht weder die Gesellschaft auf,
Noch paßt er für sie irgend.

APEMANTUS
Deine Gefahr denn, wenn ich bleibe, Timon;
Ich kam, um aufzumerken; sei gewarnt!

TIMON
Das kümmert mich nicht; du bist ein Athener und mir deshalb willkommen. Ich möchte hier nichts ausrichten können; bitte, laß mein Mahl dich zum Schweigen bringen!

APEMANTUS
Dein Mahl verschmäh ich; es erwürgt mich, denn
Nie würd ich schmeicheln. - Götter, welche Schar
Verzehrt den Timon, und er sieht sie nicht!
Mich quält es, daß so viel ihr Brot eintauchen
In eines Mannes Blut; und größre Tollheit:
Er muntert sie noch auf!
Mich wundert, wie doch Mensch dem Menschen traut.
Sie sollten nur sich laden ohne Messer,
Gut wärs fürs Mahl und für das Leben besser;
Das zeigt' sich oft; der Bursche ihm zunächst,
Der mit ihm Brot bricht, ihm Gesundheit bringt,
Mit seinem Atem im geteilten Trunk,
Er ist der nächst, ihn zu ermorden. So
Geschahs schon oft; wär ich ein großer Herr,
Ich wagte bei der Mahlzeit nicht zu trinken,
Sonst könnte man erspähn der Kehle Schwächen;
Nur halsgepanzert sollten Große zechen.

TIMON
Von Herzen, Herr, und rundum geh es weiter!

ZWEITER LORD
Laß es nach dieser Seite gehen, edler Lord!

APEMANTUS
Nach dieser Seite!
Ein herzger Mensch, nimmt seinen Vorteil wahr!
O Timon, du und dein Besitz
Wird krank von dem Gesundheitstrinken noch.
Hier hab ich, was zu schwach ist, um zu sündgen,
Ehrliches Wasser, das noch keinen hinwarf;
Dies mag mit meiner Kost sich gut vertragen.
Schmaus ist zu stolz, den Göttern Dank zu sagen.

Ihr Götter, nicht um Geld bitt ich,
Für niemand bet ich, als für mich;
Gebt, daß ich nie so töricht sei,
Zu traun der Menschen Schwur und Treu;
Noch der Dirne, wenn sie weint,
Noch dem Hund, der schlafend scheint,
Noch dem Schließer im Gefängnis,
Noch dem Freunde in Bedrängnis:
Amen. - So greife zu;
Der Reiche sündigt, Wurzeln speise du!
Er ißt und trinkt.
Und wohl bekomm es deinem guten Herzen. Apemantus.

TIMON
General Alcibiades, Euer Herz ist in diesem Augenblick im Felde.

ALCIBIADES
Mein Herz ist immer zu Euren Diensten, Mylord.

TIMON
Ihr wäret lieber bei einem Frühstück von Feinden als bei einem Mittagessen von Freunden.

ALCIBIADES
Wenn sie frischblutend sind, so kommt kein Schmaus ihnen gleich, und ich möchte meinem besten Freund ein solches Fest wünschen.

APEMANTUS
So wollt ich, alle diese Schmeichler wären deine Feinde, damit du sie alle töten könntest und mich dann darauf einladen.

ERSTER LORD
Würde uns nur das Glück zuteil, edler Lord, daß Ihr einst unsrer Liebe bedürftet, damit wir Euch einigermaßen unsern Eifer zeigen könnten, dann würden wir uns auf immer für beglückt halten.

TIMON
Oh, zweifelt nicht, meine teuern Freunde, die Götter selbst haben gewiß dafür gesorgt, daß ihr mir noch dereinst sehr nützlich werden könnt; wie wäret ihr auch sonst meine Freunde? Weshalb führtet ihr vor tausend andern diesen liebevollen Namen, wenn ihr meinem Herzen nicht die Nächsten wäret? Ich habe mir selbst mehr von euch gesagt, als ihr mit Bescheidenheit zu eurem Besten sagen könnt, und so weit stimme ich euch zu. O ihr Götter, denk ich, was bedürfen wir irgend der Freunde, wenn wir ihrer niemals bedürften? Sie wären ja die unnützesten Geschöpfe auf der Welt, wenn wir sie nie gebrauchten, und glichen lieblichen Instrumenten, die in ihren Kasten an der Wand hängen und ihre Töne für sich selbst behalten. Wahrlich, ich habe oft gewünscht, ärmer zu sein, um euch näher zu stehn. Wir sind dazu geboren, wohltätig zu sein, und was können wir wohl mit besserm Anspruch unser eigen nennen, als den Reichtum unsrer Freunde? O welch ein tröstlicher Gedanke ist es, daß so viele, Brüdern gleich, einer über des andern Vermögen gebieten können! O Freude, die schon stirbt, ehe sie geboren wird! Meine Augen können die Tränen nicht zurückhalten; um ihren Fehl vergessen zu machen, trinke ich euch zu.

APEMANTUS
Du weinst, damit sie trinken mögen, Timon!

ZWEITER LORD
So ward die Freud auch uns im Aug empfangen
Und sprang sogleich als weinend Kind hervor.

APEMANTUS
Ich lache, daß es wohl ein Bastard war.

DRITTER LORD
Wahrlich, Mylord, Ihr habt mich ganz erschüttert.

APEMANTUS
Gans!
Trompeten hinter der Szene.

TIMON
Was bedeutet die Trompete? [- he?]
Ein Diener tritt auf.
Was gibts?

DIENER
Mit Eurer Genehmigung, Mylord, es sind einige Damen da, die sehnlich den Einlaß wünschen.

TIMON
Damen? Was wünschen sie?

DIENER
Sie haben einen Vorläufer bei sich, Mylord, der den Auftrag hat, ihren Willen kundzutun.

TIMON
Wohl, so laß sie ein!
Cupido tritt auf.

CUPIDO
Dem würdgen Timon Heil und all den andern,
Die seiner Huld genießen! - Die fünf Sinne
Erkennen dich als ihren Herrn und nahn
Glückwünschend deinem edlen Haus; das Ohr,
Geschmack, Gefühl, Geruch fand hier Erquicken;
Sie kommen nur, dein Auge zu entzücken.

TIMON
Sie sind alle willkommen. Man empfange sie freundlich; Musik, heiß sie willkommen!
Cupido geht ab.

ERSTER LORD
Ihr seht, wie Ihr von allen seid geliebt.
Musik. Cupido tritt wieder auf, Maskerade von Damen als Amazonen verkleidet; sie haben Lauten und tanzen und spielen.

APEMANTUS
Heisa, ein Schwarm von Eitelkeit bricht ein!
Sie tanzen, ha! Wahnsinnge Weiber sinds.
Ganz solcher Wahnsinn ist die Pracht des Lebens,
Wie dieser Pomp erscheint vor Öl und Wurzeln.
Selbst machen wir zu Narrn uns, uns zu freun,
Vergeuden Schmeicheln, aufzutrinken Menschen,
Auf deren Alter wir es wieder speien,
Mit Haß und Hohn vergiftet. Wer lebt, der nicht
Gekränkt ist oder kränkt? Wer stirbt und nimmt
Nicht eine Wund ins Grab von Freundeshand?
Die vor mir tanzen jetzt, ich würde fürchten,
Sie stampfen einst auf mich, es kam schon vor;
Man schließt beim Sonnenuntergang das Tor.
Die Lords stehn vom Tisch auf, indem sie dem Timon die größte Ehrfurcht beweisen; und, um ihm ihre Liebe zu zeigen, wählt jeder eine Amazone zum Tanz, nach einer heitern Musik schließt der Tanz.

TIMON
Ihr schönen Fraun lieht Anmut unsrer Lust
Und schmücktet unser Fest mit schönerm Glanz,
Das halb so reich und hold vorher nicht strahlte;
Ihr gabt ihm höhern Wert und freundlich Schimmern
Und unterhieltet mich, wie ichs ersann.
Noch bleib ich Dank Euch schuldig.

ERSTE DAME
Ihr nehmt uns, Mylord, von der besten Seite.

APEMANTUS
Wahrlich, denn die schlimmste ist schmutzig und würde wohl kaum das Nehmen vertragen, denk ich.

TIMON
Ihr Fraun, dort findet Ihr ein leicht Bankett;
So gütig seid, Euch selber zu bedienen.

DIE DAMEN
Euch höchst ergebnen Dank, Mylord.
Cupido und die Damen gehn ab.

TIMON
Flavius!

FLAVIUS
          Mylord?

TIMON
                    Bring mir das kleine Kästchen!

FLAVIUS
Sogleich, Mylord.
Beiseit.
                   Noch immer mehr Juwelen!
Man darf ihn nicht in seiner Laune kreuzen;
Sonst würd ich - Gut - wenn alles ist geschwunden,
Wünscht er, er hätte sich gekreuzt gefunden.
O Jammer! Möchte Milde rückwärts sehn,
Daß nicht an Großmut Edle untergehn.
Er geht ab [und kommt mit dem Kästchen wieder].

ERSTER LORD
Sind unsre Leute da?

DIENER
                      Euch zu Befehl, Mylord.

ZWEITER LORD
Die Pferde vor!
Flavius kommt mit dem Kästchen zurück.

TIMON
                 Ihr Freunde, noch ein Wort
Erlaubt mir: - Seht, mein guter Lord, ich muß
Euch bitten, daß Ihr mir die Ehr erweist,
Hier dies Juwel zu adeln;
Empfangt und tragt es, gütger Herr.

ERSTER LORD
Doch bin ich schon so sehr in Eurer Schuld!

ALLE
Das sind wir alle.
Ein Diener tritt auf.

[ZWEITER] DIENER
Mylord, es steigen einge Senatoren
Vom Pferde eben, um Euch zu besuchen.

TIMON
Höchlich willkommen!

FLAVIUS
                      Ich ersuch Eur Gnaden,
Erlaubt ein Wort mir, es betrifft Euch nah.

TIMON
Mich selbst? So hör ich dich ein andermal;
Ich bitte, laß uns wohl bereitet sein,
Sie ziemend aufzunehmen.

FLAVIUS
beiseit.
                          Kaum noch weiß ich, wie.
Ein Diener tritt auf.

[DRITTER] ZWEITER DIENER
Erlaubt mir, gnädger Herr, Lord Lucius sendet
Aus freier Liebe als Geschenk Euch vier
Milchweiße Rosse, aufgeschirrt mit Silber.

TIMON
Ich nehme sie mit Dank; sorgt, daß die Gabe
Würdig erwidert wird. -
Ein dritter Diener tritt auf.
                         Wie nun, was gibts?
[Ein Diener tritt auf.]

[VIERTER] DRITTER DIENER
Mit Eurer Gnaden Erlaubnis, der edle Lord Lucullus wünscht Eure Gesellschaft, um morgen mit ihm zu jagen, und sendet Euer Gnaden zwei Koppeln Windhunde.

TIMON
Ich sage zu. Laß in Empfang sie nehmen,
Nicht ohne reichen Lohn.

FLAVIUS
beiseit.
                          Was soll draus werden?
Bewirten sollen wir und reich beschenken,
Und alles das aus einem leeren Kasten.
Er rechnet niemals nach und heißt mich immer schweigen,
Wenn ich sein Herz als Bettler ihm will zeigen,
Da seine Macht nicht seinem Wunsch genügt;
Ihn überfliegt so sehr, was er verspricht,
Daß, was er redet, Schuld ist; ja verpflichtet
Für jedes Wort, ist er so mild, daß Zins
Er dafür zahlt. All seine Güter stehn
In ihren Büchern.
Wär ich nur freundlich meines Dienstes los,
Bevor ich ihn gewaltsam lassen muß!
Viel besser freundlos, keinem Speise bieten,
Als vielen, die mehr noch als Feinde wüten.
Es blutet mir das Herz um meinen Herrn.
Er geht ab.

TIMON
Ihr tut Euch selbst groß Unrecht,
Schätzt Ihr so wenig Euren eignen Wert;
Hier, nehmt die kleine Gabe meiner Liebe!

ZWEITER LORD
Ich nehms, mit nicht gemeiner Dankbarkeit.

DRITTER LORD
Ja, wohl ist er der Großmut wahre Seele!

TIMON
Und jetzt entsinn ich mich, Mylord, Ihr gabt
Jüngst schönes Lob dem Braunen, den ich ritt:
Er ist der Eure, da er Euch gefällt.

[ZWEITER] DRITTER LORD
Ich bitt Euch, edler Herr, entschuldigt mich!

TIMON
Glaubt meinem Wort, mein Freund, ich weiß, man kann
Nur nach Verdienst das loben, was man liebt;
Der Freunde Neigung wäg ich nach der eignen;
Ich spreche aus der Seel. Ich such Euch auf.

ALLE LORDS
Wer wäre so willkommen!

TIMON
Besuch der Freunde, Eurer insbesondre
Ist mir so wert, ich kann genug nicht geben;
Den Freunden möcht ich Königreiche schenken,
Und nie ermüden. - Alcibiades,
Du bist ein Krieger, darum selten reich,
Du brauchst es wohl; dein Lebensunterhalt
Ist bei den Toten, deine Ländereien
Das Schlachtfeld.

ALCIBIADES
                   Unfruchtbares Land, Mylord.

ERSTER LORD
Wir sind unendlich Euch verpflichtet.

TIMON
                                       Und
So bin ich Euch.

ZWEITER LORD
Auf ewig ganz ergeben.

TIMON
Nicht minder ich. - He, Lichter, noch mehr Lichter!

ERSTER LORD
Das höchste Glück,
Reichtum und Ehre bleib Euch, edler Timon!

TIMON
Zum Dienst der Freunde!
Alcibiades, [und die] Lords und Gefolge gehn ab.

APEMANTUS
                         Welch ein Lärm ist das!
Grinsend Gesicht, den Steiß herausgekehrt!
Ob wohl Bücklinge, was sie kosten, wert?
Freundschaft hat schlimmen Bodensatz. Ich meine,
Falsch Herz sollt niemals haben starke Beine.
Verbeugen macht treuherzge Narrn bankrott.

TIMON
Nun, Apemantus, wärst du nicht so mürrisch,
Wollt ich dir Gutes tun.

APEMANTUS
                          Nein, ich will nichts;
Würd ich bestochen auch, so bliebe keiner,
Auf dich zu schmähn; du sündigtest noch schneller.
Du gibst so viel, Timon, daß, wie ich fürchte,
Du in Papiern dich bald hinweggeschenkt.
Wozu die Schmäus' und Aufzüg? Eitles Großtun!

TIMON
Nein, wenn du selbst Geselligkeit willst schmähen,
So will ich wahrlich deiner gar nicht achten.
Fahr wohl und komm in beßrer Stimmung!
Timon geht ab.

APEMANTUS
                                        So,
Du willst nicht hören - sollst auch nicht; verschlossen
Sei dir dies Glück. O Mensch, wie so betört!
Taub ist das Ohr dem Rat, das Schmeichler hört.
Geht ab.







ZWEITER AKT

ERSTE SZENE

Athen. Zimmer in dem Hause eines Senators


Der Senator tritt auf mit Papieren in der Hand.

SENATOR
Fünftausend kürzlich erst dem Varro; Isidor
Ist er neuntausend schuldig; meins dazu,
Macht fünfundzwanzig. - Immer rascher taumelt
Verschwendung so? Es kann, es wird nicht dauern.
Fehlts mir an Geld, stehl ich 'nes Bettlers Hund
Und geb ihn Timon; gut, der Hund münzt Geld.
Will ich statt meines Pferdes zwanzig kaufen,
Und beßre: nun, mein Pferd schenk ich dem Timon,
Nichts fordernd geb ichs ihm, gleich fohlt mirs Rosse,
Und treffliche. Kein Pförtner steht am Tor,
Nein, einer nur, der lächelnd alles ladet,
Was dort vorbeigeht. Dauern kann es nicht;
Kein Sinn kann seinen Zustand sicher finden.
He, Caphis! Caphis, sag ich.
Caphis tritt auf.

CAPHIS
                              Was befehlt Ihr?

SENATOR
Den Mantel um, und zu Lord Timon gleich;
Sei dringend um mein Geld, laß nicht begütgen
Durch leichte Ausflucht dich; schweig nicht, wenns heißt:
Empfiehl mich deinem Herrn - wenn mit der Kappe
Man in der rechten Hand spielt, so; - nein, sag ihm,
Man drängt mich selbst, und ich muß sie beschwichtgen
Aus meinen Mitteln. Seine Frist ist um,
Und mein Kredit, da er nicht pünktlich zahlte,
Ist schon geschwächt. Ich lieb ihn und verehr ihn,
Doch wag ich nicht den Hals für seinen Finger.
Ich brauch es augenblicks, und was mich rettet,
Darf nicht unsichre, schwanke Rede sein,
Nur schleunigste Befriedgung. Mach dich auf,
Nimm auch höchst ungestümes Wesen an,
Ein Angesicht des Mahners, denn ich fürchte,
Steckt jede Feder in der rechten Schwinge,
Bleibt Timon als ein nackter Gauch zurück,
Der jetzt als Phönix leuchtet. Mach dich fort!

CAPHIS
Ich gehe, Herr.

SENATOR
                 Nimm die Verschreibung mit
Und merke die Verfallzeit.

CAPHIS
                            Gut.

SENATOR
                                  So geh!
Gehn ab.




ZWEITE SZENE

Daselbst. Vorhalle in Timons Hause


Flavius tritt auf mit vielen Rechnungen in der Hand.

FLAVIUS
Nachdenken, Einhalt nicht! Wirtschaft so sinnlos,
Daß er sie weder so kann weiterführen,
Noch die Verschwendung hemmt; sich nicht drum kümmert,
Wo alles hin geht, noch ein Mittel sucht,
Woraus es fortzuführen; nie verband
Sich so viel Milde solchem Unverstand.
Was wird noch draus? Er hört nicht, bis er fühlt;
Ich schenk ihm reinen Wein, kommt er vom Jagen.
Pfui, pfui! Pfui, pfui!
Caphis tritt auf und die Diener des Isidor und Varro.

CAPHIS
                         Ei, Varro, guten Abend;
Kommst du nach Geld?

VARROS DIENER
                      Ists nicht auch dein Geschäft?

CAPHIS
So ists - und deins auch, Isidor?

ISIDORS DIENER
                                   Jawohl.

CAPHIS
Wärn wir nur alle schon bezahlt!

VARROS DIENER
                                  Ich fürchte...

CAPHIS
Hier kommt der gnädge Herr.
Es treten auf Timon, Alcibiades und Lords und Gefolge.

TIMON
Gleich nach der Mahlzeit gehn wir wieder dran,
Mein Alcibiades. - Zu mir? Was gibts?

CAPHIS
Hier, diese Schuldverschreibung, edler Herr -

TIMON
Schuld? Woher bist du?

CAPHIS
                        Gnädger, aus Athen.

TIMON
Zu meinem Hausverwalter geh!

CAPHIS
Verzeiht mir, gnädger Herr, seit einem Monat
Verweist er mich von einem Tag zum andern.
Mein Herr, jetzt selbst in Not und hart bedrängt,
Muß mahnen an die Schuld und fleht in Demut,
Daß Ihr, mit Euerm edlen Tun im Einklang,
Sein Recht ihm tut.

TIMON
                     Mein guter Freund, ich bitte,
Komm wieder zu mir morgen früh!

CAPHIS
Nein, edler Herr.

TIMON
                   Vergiß dich nicht, mein Guter!

VARROS DIENER
Des Varro Diener, Lord -

ISIDORS DIENER
                          Von Isidor;
In Demut bittet er um schnelle Zahlung.

CAPHIS
Wär Euch bekannt, wie sehr mein Herr es braucht -

VARROS DIENER
Schon vor sechs Wochen fällig, Herr, und drüber.

ISIDORS DIENER
Mylord, Eur Hausverwalter weist mich ab,
Ausdrücklich schickt man mich zu Euer Gnaden.

TIMON
Gebt einen Augenblick mir Ruh! -
Ich bitt Euch, edle Lords, geht mir voran.
[Alcibiades und die Lords gehn ab.]
Ich folg Euch gleich. -
Alcibiades und die Lords gehen ab.
Zu Flavius.

                          Komm, sag, wie kanns geschehn
In aller Welt, daß man mich so umdrängt
Mit Mahngeschrei um Schuld, verfallnen Scheinen
Und rückgehaltnen Summen, zahlbar längst,
Zum Nachteil meiner Ehre?

FLAVIUS
                           Hört, Ihr Herrn,
Die Zeit ist für Geschäfte nicht geeignet;
Stillt Euren Ungestüm bis nach der Mahlzeit,
Auf daß ich Seiner Gnaden sagen möge,
Weshalb Ihr nicht bezahlt seid.

TIMON
                                 Tut das. Freunde! -
Und laß sie gut bewirten.
Timon geht ab.

FLAVIUS
                           Bitte, kommt!
Flavius geht ab. Apemantus und ein Narr treten auf.

CAPHIS
Wartet, hier kommt Apemantus mit dem Narren; wir wollen noch etwas Spaß mit ihnen treiben.

VARROS DIENER
An den Galgen mit ihm, er wird uns schlecht begegnen.

ISIDORS DIENER
Die Pest über den Hund!

VARROS DIENER
Was machst du, Narr?

APEMANTUS
Führst du Gespräch mit deinem Schatten?

VARROS DIENER
Ich spreche nicht mit dir.

APEMANTUS
Nein, mit dir selbst. -
Zum Narren.
Komm fort.

ISIDORS DIENER
zu Varros Diener.
Da hängt dir der Narr schon am Halse.

APEMANTUS
Nein, du stehst allein und hängst nicht an ihm.

CAPHIS
Wer ist der Narr nun?

APEMANTUS
Der die letzte Frage tat. - Arme Schufte und Diener von Wucherern! Kuppler zwischen Gold und Mangel.

ALLE DIENER
Was sind wir, Apemantus?

APEMANTUS
Esel.

ALLE DIENER
Warum?

APEMANTUS
Weil ihr mich fragt, was ihr seid und euch selbst nicht kennt. - Sprich mit ihnen, Narr!

NARR
Wie gehts Euch, Ihr Herren?

ALLE DIENER
Großen Dank, Narr! Wie geht es deiner Gebieterin?

NARR
Sie setzt eben Wasser bei, um solche Küchlein, wie Ihr seid, zu brühen. Ich wollte, wir sähen Euch in »Korinth«.

APEMANTUS
Gut, ich danke dir.
Ein Page tritt auf.

NARR
Seht, hier kommt der Page meiner Gebieterin.

PAGE
zum Narren.
Nun, wie gehts, Kapitän? Was machst du in dieser weisen Gesellschaft? - Wie gehts dir, Apemantus?

APEMANTUS
Ich wollte, ich hätte eine Rute in meinem Munde, um dir eine heilsame Antwort geben zu können.

PAGE
Ich bitte dich, Apemantus, lies mir die Aufschrift dieser Briefe, ich weiß nicht, an wen jeder ist.

APEMANTUS
Kannst du nicht lesen?

PAGE
Nein.

APEMANTUS
So wird also an dem Tage, wo du gehängt wirst, keine große Gelehrsamkeit sterben. Dieser ist an Lord Timon; dieser an Alcibiades. Geh! Du wurdest als Bastard geboren und wirst als Kuppler sterben.

PAGE
Und du wurdest als Hund geworfen und wirst verhungern; ein Hundetod. Antworte nicht, denn ich bin schon fort.
Der Page geht ab.

APEMANTUS
Ebenso entfliehst du der Gnade. - Narr, ich will mit dir zu Lord Timon gehen.

NARR
Und willst du mich dort lassen?

APEMANTUS
Wenn Timon zu Hause bleibt. - Ihr drei bedient drei Wucherer?

ALLE DIENER
Ja; bedienten sie lieber uns!

APEMANTUS
Das wollte ich auch, und so gut, wie jeder Henker den Dieb bedient.

NARR
Seid ihr die Diener von drei Wucherern?

ALLE DIENER
Ja, Narr.

NARR
Ich glaube, es gibt keinen Wucherer, der nicht einen Narren zum Diener hat. Meine Gebieterin ist es auch, und ich bin ihr Narr. Wenn die Leute von euren Herren borgen wollen, so kommen sie traurig und gehen fröhlich wieder weg; aber in das Haus meiner Gebieterin kommen sie fröhlich und gehn traurig wieder weg: die Ursach?

VARROS DIENER
Ich könnte sie nennen.

APEMANTUS
So tu es denn, damit wir dich als Verbuhlten und Schelm kennenlernen, wofür du ohnehin gelten sollst.

VARROS DIENER
Was ist ein Verbuhlter, Narr?

NARR
Ein Narr in guten Kleidern und dir etwas ähnlich. Ein Geist ist es, denn zuweilen erscheint er als ein vornehmer Herr, zuweilen als ein Rechtsgelehrter, zuweilen als ein Philosoph, zuweilen gleicht er auch einem Ritter; und, kurz und gut, in allen Gestalten, worin die Menschen von achtzig bis zu dreizehn Jahren umherwandeln, geht dieser Geist um.

VARROS DIENER
Du bist nicht ganz ein Narr.

NARR
Und du nicht ganz ein Weiser; so viel Narrheit als ich besitze, so viel Witz mangelt dir.

APEMANTUS
Dieser Antwort hätte sich Apemantus nicht zu schämen brauchen.

ALLE DIENER
Platz, Platz, hier kommt Lord Timon.
Timon und Flavius treten auf.

APEMANTUS
Komm mit mir, Narr, komm!

NARR
Ich folge nicht immer dem Liebhaber, dem älteren Bruder und der Frau; manchmal dem Philosophen.
Apemantus und der Narr gehn ab.

FLAVIUS
Ich bitt euch, geht; gleich will ich mit euch reden.
Die Diener gehen alle ab.

TIMON
Du machst mich staunen. Warum früher nicht
Hast du mir mein Vermögen klar berechnet?
Daß ich vermocht, den Haushalt einzurichten,
Wie's mir vergönnt.

FLAVIUS
                     Ihr wolltet nimmer hören,
Sooft ichs vorschlug Eurer Muße.

TIMON
                                  Was!
Du wähltest immer wohl Gelegenheiten,
Wo ich in übler Laune dich zurückwies,
Und die Verstimmung soll nun jetzt dir helfen,
Dich zu entschuldigen.

FLAVIUS
                        O mein teurer Herr,
Oft hab ich meine Rechnung Euch gebracht,
Sie hingelegt; Ihr aber schobt sie weg
Und spracht: das lieg in meiner Redlichkeit.
Befahlt Ihr, für ein klein Geschenk so viel
Zu geben, schüttelt ich den Kopf und weinte,
Ja, bat Euch, gegen das Gebot der Sitte,
Mehr Eure Hand zu schließen; ich ertrug
Nicht seltnen und nicht milden Vorwurf, wagt ich
An Eures Reichtums Ebbe Euch zu mahnen
Und Eurer Schulden Flut, geliebter Herr.
Jetzt hört Ihr mich - zu spät! -, doch muß ichs sagen,
Daß Euer ganz Vermögen halb zuwenig,
Die gegenwärtigen Schulden nur zu tilgen.

TIMON
Laß all mein Land verkaufen!

FLAVIUS
                              Alles ist
Verpfändet, viel verfallen und dahin,
Und was noch bleibt, kann kaum den Riß verstopfen
Des jetzgen Drangs; Termin folgt auf Termin.
Was nun vertritt die Zwischenzeit? Und endlich,
Wie stehts um unsre Rechnung?

TIMON
Bis Lacedämon reichten meine Güter.

FLAVIUS
O teurer Herr, die Welt ist nur ein Wort:
Und wär sie Euer, schnell wär sie dahin,
Wenn sie ein Laut verschenkte!

TIMON
                                Du hast recht.

FLAVIUS
Mißtraut Ihr meinem Haushalt, meiner Ehre,
So laßt mich vor den strengsten Richtern stehn
Zur Rechenschaft. Die Götter sind mir Zeugen:
Wenn Vorsaal, Küch und Keller voll gedrängt
Schwelgender Diener, die Gewölbe weinten
Vom Weinguß Trunkner und wenn jeder Saal
Von Kerzen flammt' und von Musik erbrauste,
Saß ich beim steten Fluß des Brunnens einsam
Und ließ mein Auge strömen.

TIMON
                             Bitte, nichts mehr!

FLAVIUS
Ihr Götter, rief ich, dieser Herr so mild!
Wie manchen reichen Bissen Sklaven heut
Verschluckten! Wer ist Timon nicht ergeben?
Welch Haupt, Herz, Schwert, Gold, Gut gehört nicht ihm,
Dem großen, edeln, kömglichen Timon?
Ach, schwand der Reichtum, der dies Lob gekauft,
So schwand der Atem, der dies Lob gebildet;
Was Schmaus gewann, verlor das Fasten wieder;
Ein Wintertag, und tot sind diese Fliegen.

TIMON
Still, predge mir nicht mehr!
Mein Herz kennt doch kein lasterhaft Verschwenden
Unweis und nicht unedel gab ich weg.
Was weinst du nur? Denkst du, ganz gottlos, denn,
Ich werde freundlos sein? Beruhige dich;
Wollt ich anzapfen allen Wein der Liebe,
Durch Borg der Herzen Inhalt mir erprüfen,
Könnt ich ihr aller Gut so frei gebrauchen,
Wie ich dich reden heiße.

FLAVIUS
Es mög Erfüllung Euren Glauben segnen!

TIMON
Und in gewisser Art freut mich mein Mangel,
Daß ich ihn Segen achte, denn durch ihn
Prüf ich die Freunde. Du wirst sehn, du irrtest! Ich bin ja überreich in meinen Freunden.
He, drinnen da! Flaminius! Servilius!
Flaminius, Servilius und andre Diener treten auf.

DIE DIENER
Mylord, Mylord -

TIMON
Aussenden will ich euch, dich zu Lord Lucius,
Zu Lord Lucullus dich - noch heute jagt ich
Mit ihm - dich zu Sempronius:
Empfehlt mich ihrer Lieb, und ich sei stolz,
Daß die Gelegenheit sich fand, um Darlehn
An Geld sie anzusprechen; mein Ersuchen:
Fünfzig Talent.

FLAMINIUS
                 Wie Ihr befehlt, Mylord!

FLAVIUS
beiseit.
Lord Lucius und Lucullus? Hm! -

TIMON
zu einem andern Diener.
Und du, geh zu den Senatoren flugs,
Die schon, weil ich dem Staate Dienst getan,
Gewähren mögen, daß sie gleich mir tausend
Talente senden.

FLAVIUS
                 Ich war schon so kühn
- Denn dies geschieht ja oft so, wie ich weiß -,
Dein Petschaft dort und Namen zu gebrauchen,
Doch schütteln sie den Kopf, und ich kam wieder,
Nicht reicher, als ich ging.

TIMON
                              Ists wahr? Kanns sein?

FLAVIUS
Einstimmig sprechen alle, keiner anders,
Daß ihre Kassen leer, kein Geld im Schatz,
Nicht könnten, wie sie wollten - täte leid -
Höchst würdig Ihr - doch wünschten sie - nicht wüßten -
Es konnte manches besser - edler Sinn
Kann wanken - wär nur alles gut - doch schade!
Und so, zu andern wichtgen Dingen schreitend,
Mit bösem Blick und diesen Redebrocken,
Halb abgezogner Mütz, kalt trocknem Nicken,
Vereisten sie das Wort mir auf der Zunge.

TIMON
Gebts ihnen heim, ihr Götter! -
Ich bitte, Mann, blick froh; den alten Burschen
Ist nun der Undank einmal einverleibt;
Ihr Blut ist Gallert, kalt, und fließt nur dünn,
Es ist nicht frisch und warm, sie fühlen nichts;
Und die Natur, der Erd entgegen wachsend,
Ist, wie das Reiseziel, schon dumpf und schwer. -
Zu einem Diener.
Geh zu Ventidius.
Zu Flavius.
                   Bitte, sei nicht traurig,
Treu bist du, redlich; frei und offen sag ichs,
Kein Tadel trifft dich. -
Zum Diener.
                           Kürzlich erst begrub
Ventidius seinen Vater, er ward Erbe
Von großen Schätzen; als er arm noch war,
Gefangen und kein Freund ihn anerkannte,
Löst ich ihn aus mit fünf Talenten. Grüß ihn:
Vermuten mög er, dringliches Bedürfnis
Berühre seinen Freund, Erinnrung weckend
An jene fünf Talent. -
Der Diener geht ab.
Zu Flavius.

                             Den Burschen gib sie,
Die jetzt drauf drängen. Fort mit dem Gedanken,
Bei Freunden könne Timons Glück erkranken!

FLAVIUS
Wohl will mein Zweifel mit der Großmut rechten:
Die Milde hält für milde auch die Schlechten.
Gehn ab.







DRITTER AKT

ERSTE SZENE

Athen. Zimmer in des Lucullus Hause


Flaminius wartet; ein Diener kommt [mit] zu ihm.

DIENER
Ich habe dich bei meinem Herrn gemeldet, er wird gleich zu dir herunterkommen.

FLAMINIUS
Ich danke dir.
Lucullus tritt auf.

DIENER
Hier ist mein Herr.

LUCULLUS
beiseit.
Einer von Timons Dienern? Gewiß ein Geschenk, Haha, das trifft ein; mir träumte heute nacht von Silberbecken und Kanne.
Laut.
Flaminius, ehrlicher Flaminius; du bist ganz ausnehmend sehr willkommen. -
[Zum Diener.]
Geh, bring Wein.
Diener geht ab.
Und was macht der hochachtbare, unübertreffliche, großmütige Ehrenmann Athens, dein höchst gütiger Herr und Gebieter?

FLAMINIUS
Seine Gesundheit ist gut, Herr.

LUCULLUS
Das freut mich recht, daß seine Gesundheit gut ist. Und was hast du da unter deinem Mantel, mein artiger Flaminius?

FLAMINIUS
Wahrlich, Mylord, nichts als eine leere Büchse, die ich Euer Gnaden für meinen Herrn zu füllen ersuche; er ist in den Fall gekommen, dringend und augenblicklich fünfzig Talente zu brauchen, und schickt zu Euer Gnaden, ihm damit auszuhelfen, indem er durchaus nicht an Eurer schnellen Bereitwilligkeit zweifelt.

LUCULLUS
La, la, la, la, er zweifelt nicht, sagst du? Ach, der gute Lord! Er ist ein edler Mann, wollte er nur nicht ein so großes Haus machen. Viel und oftmals habe ich bei ihm zu Mittag gespeist und es ihm gesagt, und bin zum Abendessen wiedergekommen, bloß in der Absicht, ihn zur Sparsamkeit zu bewegen; aber er wollte keinen Rat annehmen und sich durch mein wiederholtes Kommen nicht warnen lassen. Jeder Mensch hat seinen Fehler, und Großmut ist der seinige; das habe ich ihm gesagt, aber ich konnte ihn nicht davon zurückbringen.
Der Diener kommt mit Wein.

DIENER
Gnädiger Herr, hier ist der Wein.

LUCULLUS
Flaminius, ich habe dich immer für einen klugen Mann gehalten. Ich trinke dir zu.

FLAMINIUS
Euer Gnaden beliebt es so zu sagen.

LUCULLUS
Ich habe an dir immer einen raschen, auffassenden Geist bemerkt - nein, es ist wirklich so -, und du weißt wohl, was vernünftiges Betragen ist; du bist der Zeit willfährig, wenn die Zeit dir willfährig ist: alles gute Eigenschaften. -
Zum Diener, der dann abgeht.
Mach dich davon, Mensch!
Tritt näher, ehrlicher Flaminius! Dein Herr ist ein wohltätiger Mann; aber du bist klug und weißt recht wohl, obgleich du zu mir kommst, daß jetzt keine Zeit ist, um Geld auszuleihen, besonders auf bloße Freundschaft, ohne Sicherheit. Hier hast du drei Goldstücke für dich, guter Junge, drück ein Auge zu und sage, du habest mich nicht getroffen. Lebe wohl!

FLAMINIUS
Ists möglich? Hat die Welt sich so verwandelt,
Und wir erlebtens lebend? Niederträchtige
Gemeinheit, bleibe dem, der dich verehrt!
Indem er das Geld hinwirft.

LUCULLUS
Haha, nun sehe ich, du bist ein Narr und schickst dich gut für deinen Herrn.
Lucullus geht ab.

FLAMINIUS
Nimm dies zu jenem Gold, das einst dich brennt!
Geschmolznes Gold sei dein Verdammungsspruch,
Du Krankheit eines Freunds, doch nicht ein Freund!
Hat Freundschaft solch ein schwaches Herz von Milch,
Das in zwei Nächten umschlägt? O ihr Götter!
Ich fühle meines Herren Zorn! Der Sklav
Hat noch in sich zur Stunde Timons Mahl:
Wie soll es ihm gedeihn und Nahrung werden,
Wenn er sich selbst in Gift verwandelt hat?
O möge Krankheit nur sich draus erzeugen,
Und, liegt er auf den Tod, so sei ihm das,
Wofür mein Herr bezahlt hat, nicht gesund,
Verlängre ihm die Qual der Todesstund!
Geht ab.




ZWEITE SZENE

Ein öffentlicher Platz. [Straße]


Lucius kommt mit drei Fremden.

LUCIUS
Wer, Lord Timon? Er ist mein sehr guter Freund und ein ausgezeichneter Ehrenmann.

ERSTER FREMDER
Wir kennen ihn nicht anders, obwohl wir ihm fremd sind. Aber ich kann Euch etwas sagen, Mylord, was ich durch das allgemeine Gerücht gehört habe: Timons glückliche Tage sind vergangen und verschwunden, und sein Besitztum wird ihm ungetreu.

LUCIUS
O nein, glaubt das doch nicht; um Geld kann er nie in Verlegenheit sein.

ZWEITER FREMDER
Aber glaubt mir dies, gnädiger Herr, daß vor kurzem einer seiner Diener bei Lord Lucullus war, um ich weiß nicht wie viele Talente zu borgen; ja, und noch mehr, sehr in ihn drang und die Notwendigkeit zeigte, die ihn zu diesem Schritt bewog, und doch abgewiesen ward.

LUCIUS
Wie?

ZWEITER FREMDER
Ich sage Euch, abgewiesen.

LUCIUS
Wie seltsam ein solches Beginnen! Nun, bei den Göttern, ich muß mich dessen schämen. Den würdigen Mann abzuweisen! Darin zeigt er wenig Gefühl für Ehre. Was mich betrifft, ich muß bekennen, ich habe einige kleine Liebeszeichen von ihm erhalten, Geld, Silbergeschirr, Edelsteine und dergleichen Kleinigkeiten, nichts in Vergleich mit jenem; doch hätte er ihn übergangen und zu mir gesendet, ich hätte seinem Bedürfnis diese Talente nicht geweigert.
Servilius tritt auf.

SERVILIUS
Ei sieh, zum guten Glück, da ist ja der edle Lucius; ich habe schwitzen müssen, ihn zu finden. -
Zu Lucius.
Verehrter Herr -

LUCIUS
Servilius! Freut mich, dich zu treffen. Lebe wohl! Empfiehl mich deinem edlen, tugendhaften Herren, meinem allerteuersten Freunde.

SERVILIUS
Mit Euer Gnaden Erlaubnis, mein Herr sendet -

LUCIUS
Was sendet er? Ich bin deinem Herrn schon so sehr verpflichtet; er sendet immer. O sage mir, wie kann ich ihm wohl danken? Und was sendet er mir jetzt?

SERVILIUS
Nur sein augenblickliches Ersuchen sendet er Euch jetzt, mein gnädiger Herr, und bittet Euch, ihm sogleich mit so vielen Talenten auszuhelfen, als hier geschrieben stehen.

LUCIUS
Ich weiß, der gnädge Lord scherzt nur mit mir;
Nicht fünfzighundert können ihm je fehlen.

SERVILIUS
Doch fehlt ihm jetzt die weit geringre Summe.
Bedürft ers nicht zum Äußersten, Mylord,
Würd ich nicht halb so eifrig in Euch dringen.

LUCIUS
Sprichst du im Ernst, Servilius?

SERVILIUS
Bei meiner Seele, Herr, es ist wahr.

LUCIUS
Welch ein gottvergessenes Tier war ich, mich eben vor einer solchen Gelegenheit vom Gelde zu entblößen, da ich mich hätte als einen Mann von Ehre zeigen können! Wie unglücklich trifft es sich, daß ich durch einen kleinen Einkauf am Tage zuvor nun einen großen Teil meiner Ehre einbüßen muß! Servilius, ich rufe die Götter zu Zeugen, ich bin nicht imstande, es zu tun; um so mehr Vieh, sage ich noch einmal! Ich wollte soeben selbst Timon ansprechen, das können diese Herren bezeugen; aber jetzt möchte ich um alle Schätze von Athen nicht, daß ich es getan hätte. Empfiehl mich angelegentlich deinem liebevollen Gebieter; ich hoffe, sein Edelmut wird das Beste von mir denken, da es nicht in meiner Macht steht, mich ihm freundlich zu bezeigen. Und sage ihm von mir, ich halte es für einen der größten Unglücksfälle, die mich treffen konnten, daß ich solchem edlen Mann nicht dienen kann. Guter Servilius, willst du mir so viele Liebe erzeigen, meine eigenen Worte gegen ihn zu gebrauchen?

SERVILIUS
Ja, Herr, das werde ich.

LUCIUS
Ich werde daran denken, dir einen Gefallen zu tun, Servilius.
Servilius geht ab.
Grad wie ihr sagt: Mit Timon will sichs neigen;
Wem man nicht traut, der kann nie wieder steigen.
Lucius geht ab.

ERSTER FREMDER
Bemerkt Ihr dies, Hostilius?

ZWEITER FREMDER
                              Nur zu gut.

ERSTER FREMDER
                                           Dies ist
Der Geist der Welt; und grad aus solchem Tuch
Ist jedes Schmeichlers Witz. Ist der noch Freund,
Der mit uns in dieselbe Schüssel taucht?
Timon, ich weiß, war dieses Mannes Vater,
Es rettete sein Beutel ihn vom Fall,
Hielt sein Vermögen; ja, mit Timons Geld
Bezahlt er seiner Diener Lohn; nie trinkt er,
Daß Timons Silber nicht die Lipp ihm rührt;
Und doch - o seht, wie scheußlich ist der Mensch,
Wenn er des Undanks Bildung an sich trägt! -
Versagt er nun, was mehr für ihn nicht ist,
Als was ein milder Mann dem Bettler gibt.

DRITTER FREMDER
Da seufzt die Frömmigkeit.

ERSTER FREMDER
                            Was mich betrifft,
Ich habe nie von Timon was genossen,
Noch teilte mir sich seine Güte mit,
Als Freund mich zu bezeichnen; doch beteur ich,
Um seines edlen Sinns erlauchter Tugend
Und seines adeligen Wesens halb,
Wenn er in seiner Not mich angegangen,
Mein ganz Besitztum hätt ich hingeopfert,
Daß ihm die größte Hälfte wiederkehrte,
So lieb ich sein Gemüt. Doch merk ich wohl,
Man wird das Mitleid sparen lernen müssen,
Denn Klugheit thront noch höher als Gewissen.
Sie gehn ab.




DRITTE SZENE

Daselbst. Zimmer in Sempronius' Hause


Sempronius tritt auf mit einem Diener Timons.

SEMPRONIUS
Bestürmen muß er mich vor allen andern?
Den Lucius und Lucullus konnt er angehn,
Und auch Ventidius ist nun reich geworden,
Den er vom Kerker losgekauft! Sie alle
Verdanken ihren Wohlstand ihm.

DIENER
                                Mylord,
Geprüft sind sie und falsches Gold gefunden;
Sie weigerten ihm alle.

SEMPRONIUS
                         Weigern ihm?
Ventidius und Lucullus weigern ihm?
Nun schickt zu mir er? Alle drei? Mm, hm!
Das zeigt in ihm nur wenig Lieb und Urteil.
Ich, letzter Trost? Die Freunde sind wie Ärzte,
Gaben ihn dreifach auf; ich soll ihn heilen?
Sehr hat er mich gekränkt; ich bin ihm böse,
Daß er mich so verkennt: Kein Grund und Sinn,
Weshalb er mich zuerst nicht angesprochen,
Denn ich, auf mein Gewissen, war der erste,
Der Gaben je von ihm empfangen hat.
Und nun stellt er mich in den Hintergrund,
Daß er zuletzt mir traute? Nein, dies würde
Nur Gegenstand des Spotts für all die andern;
Ein Tor nur ständ ich da vor all den Lords.
Dreimal die ganze Summe gäb ich lieber,
War ich der erst, nur um mein Zartgefühl;
So schwoll mein Herz, ihm Gutes zu erweisen!
Zum Nein der andern sei das Wort gesellt:
Wer meine Ehre kränkt, sieht nie mein Geld.
Geht ab.

DIENER
Ganz unvergleichlich! Euer Gnaden ist ein recht frommer Schurke. Der Teufel wußte nicht, was er tat, als er den Menschen spitzfindig machte; er stand sich selbst im Lichte, und ich kann nichts anders glauben, als daß durch so nichtswürdige Klugheit der Sünder sich noch zum Heiligen disputiert. Wie tugendhaft strebte der Lord, um niederträchtig zu erscheinen! Frommen Vorwand nimmt er, um gottlos zu sein; denen gleich, die mit inbrünstigem Religionseifer ganze Königreiche in Brand stecken möchten.
Der Art ist seine überkluge Liebe!
Er Timons beste Hoffnung! In der Not,
Bis auf die Götter, sind die Freunde tot.
Die Tür, die niemals ihren Riegel kannte,
Durch manch gastfreies Jahr, muß jetzt sich schließen,
Um sichern Wahrsam ihrem Herrn zu leihn.
So läuft das Walten offner Hände aus;
Wers Geld nicht hütet, hüten muß das Haus.
Geht ab.




VIERTE SZENE

Vorhalle in Timons Hause


Es treten auf zwei Diener des Varro und ein Diener des Lucius; diese treffen auf Titus, Hortensius und andere Diener von Timons Gläubigern, die darauf warten, daß er herauskommt.

VARROS ERSTER DIENER
Schön! Guten Morgen, Titus und Hortensius!

TITUS
Euch gleichfalls, guter Varro!

HORTENSIUS
                                Lucius!
Wie, treffen wir uns hier?

LUCIUS' DIENER
                            Und, wie ich glaube,
Führt ein Geschäft uns alle her; denn meins
Ist Geld.

TITUS
           Und so ist ihrs und unsers.
Philotus tritt auf.

LUCIUS' DIENER
                                        Ei!
Philotus auch.

PHILOTUS
                Guten Morgen!

LUCIUS' DIENER
                               Freund, willkommen!
Was ists wohl an der Zeit?

PHILOTUS
                            Nicht weit von neun.

LUCIUS' DIENER
                                                  So spät?

PHILOTUS
War Mylord noch nicht sichtbar?

LUCIUS' DIENER
                                 Nein.

PHILOTUS
Mich wunderts; schon um sieben strahlt' er sonst!

LUCIUS' DIENER
Ja, doch sein Tag ist kürzer jetzt geworden.
Seht, Freunde, des Verschwenders Lauf ist gleich
Der Sonne, doch erneut sich nicht wie sie.
Ich fürcht, in Timons Beutel ist es Winter;
Das heißt, steckt man die Hand auch tief hinein,
Man findet wenig.

PHILOTUS
                   Ja, das fürcht ich auch.

TITUS
Jetzt merkt mal auf ein höchst seltsames Ding:
Euer Herr schickt Euch nach Geld?

HORTENSIUS
                                   Gewiß, das tut er.

TITUS
Und trägt Juwelen, die ihm Timon schenkte,
Für die ich Geld erwarte.

HORTENSIUS
's ist gegen mein Gemüt.

LUCIUS' DIENER
                          Ja, wundersam,
Timon bezahlt, was niemals er bekam;
Als wenn dein Herr, weil er Juwelen trägt,
Sich dafür Geld von Timon geben ließe.

HORTENSIUS
Ich bin des Auftrags satt, die Götter wissens!
Sehr viel erhielt mein Herr, als Timon reich;
Sein Undank macht dies jetzt dem Diebstahl gleich.

VARROS ERSTER DIENER
Meins ist dreitausend Kronen; und das deine?

LUCIUS' DIENER
Fünftausend.

VARROS ERSTER DIENER
Das ist sehr viel, und nach der Summe scheints,
Dein Herr war ihm vertrauter als der meine;
Sonst wäre sicher auch die Fordrung gleich.
Flaminius tritt auf.

TITUS
Einer von Timons Dienern.

LUCIUS' DIENER
Flaminius, auf ein Wort! Ich bitte dich, ist dein Herr bereit, herauszukommen?

FLAMINIUS
Nein, gewiß nicht.

TITUS
Wir erwarten Seine Gnaden; und ich bitte dich, tu ihm das zu wissen.

FLAMINIUS
Ich habe nicht nötig, es ihm zu sagen, er weiß wohl, daß Ihr nur zu beflissen seid.
Flaminius geht ab. Flavius tritt auf, in einen Mantel verhüllt.

LUCIUS' DIENER
Ist der Verhüllte nicht sein Hausverwalter?
Er geht in einer Wolke fort! He! Ruft ihn!

TITUS
Hört Ihr nicht, Freund?

VARROS ERSTER DIENER
                         Mit Eur' Erlaubnis, Herr -

FLAVIUS
Was wollt ihr von mir haben, meine Freunde?

TITUS
Wir warten auf gewisse Gelder.

FLAVIUS
                                Ja,
Wär Geld so sicher nur als euer Warten,
Wärs euch gewiß. Weshalb nicht brachtet ihr
Die Schuldbrief, als die falschen Herren schwelgten
An Timons Tisch? Sie wußten seine Schulden
Lächelnd zu schätzen, nahmen noch den Zins
In giergen Schlund. - Ihr tut euch selbst zu nah,
Daß ihr mich reizt; laßt ruhig mich von hinnen!
Mein Herr kann jetzt nebst mir den Haushalt enden;
Ich bin mit Rechnen fertig, er mit Spenden.

LUCIUS' DIENER
Ja, doch die Antwort dient nicht.

FLAVIUS
                                   Dient sie nicht,
Ist besser sie als ihr; denn ihr dient Schelmen.
Flavius geht ab.

VARROS ERSTER DIENER
Was murmelt da der abgedankte gnädige Herr?

VARROS ZWEITER DIENER
Das ist einerlei; er ist arm, und das ist Strafe genug für ihn. Wer kann freier sprechen als der, der kein Haus hat, den Kopf hineinzutun? Solche Leute dürfen auf große Gebäude schelten.
Servilius tritt auf.

TITUS
Hier ist Servilius; nun werden wir wohl irgendeine Antwort bekommen.

SERVILIUS
Wenn ich Euch bitten darf. Ihr guten Herren,
So kommt zu einer andern Stunde: sehr
Will ichs Euch danken; denn glaubt meinem Wort,
Mein Herr ist außerordentlich verstimmt.
Sein heitrer Sinn hat gänzlich ihn verlassen;
Er ist recht krank und muß sein Zimmer hüten.

LUCIUS' DIENER
Das Zimmer hütet mancher, der nicht krank ist;
Und ist er so sehr leidend, sollt er, mein ich,
Um so viel eher zahln und sich den Weg
Frei machen zu den Göttern.

SERVILIUS
                             Gute Götter!

TITUS
Dies können wir für keine Antwort nehmen.

FLAMINIUS
drinnen.
Servilius, komm und hilf! Mylord, Mylord!
Timon tritt auf in einem Anfall von Wut, Flaminius folgt ihm.

TIMON
Was, sperrt die eigne Tür den Durchgang mir?
War ich stets frei und muß mein eigen Haus
Mein Feind sein, der mich fesselt, und mein Kerker?
Der Platz, der Lust geweiht, zeigt er nun auch,
Wie alle Menschen, mir ein eisern Herz?

LUCIUS' DIENER
Mach dich an ihn, Titus.

TITUS
Mylord, hier ist meine Verschreibung.

LUCIUS 'DIENER
Und meine.

HORTENSIUS
            Und meine.

DIE BEIDEN DIENER DES VARRO
                        Und unsre, Herr.

PHILOTUS
Alle unsre Verschreibungen.

TIMON
So haut mich nieder, spaltet mich zum Gürtel!

LUCIUS' DIENER
                                                    Ach, Herr!

TIMON
Zerteilt mein Herz!

TITUS
                     Fünfzig Talente hier!

TIMON
Zählt aus mein Blut!

LUCIUS' DIENER
                      Fünftausend Kronen, Herr!

TIMON
Fünftausend Tropfen macht das. - Und was ihr? -
Und ihr?

VARROS ERSTER DIENER
          Herr!

VARROS ZWEITER DIENER
                 Herr!

TIMON
Reißt mich in Stück! Und töten euch die Götter!
Er geht ab.

HORTENSIUS
Nun, ich sehe wohl, unsre Herrn mögen ihre Mützen nach ihrem Gelde schmeißen; diese Schulden kann man wohl verzweifelte nennen, da ein Rasender sie bezahlen soll.
Sie gehn alle ab. Timon kommt zurück mit Flavius.

TIMON
Es nahmen Luft und Atem mir die Sklaven.
Gläubiger! - Teufel! -

FLAVIUS
Mein teurer Herr!

TIMON
                   Und könnts nicht so geschehn?

FLAVIUS
Mein gnädiger Herr!

TIMON
So soll es sein! - Mein Hausverwalter!

FLAVIUS
                                        Hier, Herr.

TIMON
So schnell? Geh, lade mir die Freunde wieder,
Lucius, Lucullus und Sempronius, alle!
Ich will die Schufte noch einmal bewirten.

FLAVIUS
O teurer Herr,
Das sprecht Ihr nur aus tief zerstörtem Sinn:
Es ist nicht so viel übrig, auszurichten
Ein mäßges Mahl.

TIMON
                  Still, lade all, befehl ich,
Daß noch einmal herein die Schelmzucht breche;
Mein Koch und ich besorgen schon die Zeche.
Sie gehn ab.




FÜNFTE SZENE

Daselbst. Das Haus des Senats


Der Senat ist versammelt.

ERSTER SENATOR
Mylord, so stimm auch ich; die Schuld ist blutig,
Er muß notwendig mit dem Tode büßen.
Die Sünde wird durch Gnade frecher nur.

ZWEITER SENATOR
Sehr wahr! Vernichten soll ihn das Gesetz.
Alcibiades tritt auf mit Gefolge.

ALCIBIADES
Heil sei und Ehr und Milde beim Senat!

ERSTER SENATOR
Was wollt Ihr, Feldherr?

ALCIBIADES
Vor Eure Tugend tret ich als ein Flehnder;
Denn Mitleid ist die Tugend des Gesetzes,
Nur Tyrannei braucht es zur Grausamkeit.
Die Laune wars von Zeit und Schicksal, schwer
Zu drücken meinen Freund, der, heißen Bluts,
Schritt ins Vergehn, wo pfadlos dessen Tiefe
Für einen, der hineinstürzt unbedacht.
Er ist, von dieser Fehltat abgesehn,
Ein Mann von schöner Tugend.
Auch hat nicht Feigheit seine Tat befleckt
- Ein Ruhm, der wohl des Fehltritts Schuld bezahlt -;
Nein, heldenmütgen Sinns und edlen Zorns,
Da er zum Tod die Ehre sah verletzt,
Begegnet' er dem Feind;
Und so beherrscht und mit verhaltnem Grimm
Hielt er den Zorn bis an das End in Schranken,
Als stritt er mit Beweisen und Gedanken.

ERSTER SENATOR
Du unternimmst zu herben Widerspruch,
Willst du die schnöde Tat in Schönheit kleiden.
Fast schien dein künstlich Wort dahin zu streben,
Den Menschenmord zu adeln. Rauferlaune
Vor Tapferkeit zu ehren, die doch wahrlich
Nur mißerzeugter Mut, zur Welt gekommen,
Als Cliquen und Partein geboren wurden.
Nur der zeigt wahren Mut, der weislich duldet
Das Schlimmste, was der Gegner spricht, dem Kränkung
Gewand nur wird und Hülle, leicht zu tragen,
Der Unbill nie läßt bis zum Herzen dringen,
Es zu vergiften.
Ist Unheil Schimpf und zwingt uns totzuschlagen,
Wird nur der Tor um Unheil Leben wagen.

ALCIBIADES
Mylord -

ERSTER SENATOR
Durch Euch wird glorreich nicht ein hart Verschulden;
Sich rächen ist nicht Tapferkeit, nein, dulden.

ALCIBIADES
Dann, mit Vergunst, Ihr edeln Herrn, verzeiht,
Red ich hier als Soldat:
Was wagen in der Schlacht sich dumme Menschen
Und dulden nicht das Drohn? Und schlafen still,
In Zuversicht dem Feind die Kehle bietend,
Ganz ohne Widerstand? Ist im Ertragen
So großer Mut, was machen wir im Feld?
Nun also, tapferer sind dann die Frauen,
Im Hausgeschäft geht Dulden über alles;
Mehr als der Leu ist dann Soldat der Esel,
Der Dieb in Ketten weiser als der Richter,
Liegt Weisheit nur im Leiden. Senatoren,
Groß seid Ihr schon, nun seid auch mild und gut!
Raschheit verdammt man leicht mit kaltem Blut.
Der Mord, ich geb es zu, ist bös und schlecht;
Doch nennt Verteidigung Gnade selbst gerecht.
Der Zorn gehört wohl zu den größten Sünden;
Doch ist kein Mensch, der nie gezürnt, zu finden.
Wägt daran seine Schuld!

ZWEITER SENATOR
                          Ihr sprecht umsonst.

ALCIBIADES
Umsonst? Und alle Dienste, die er tat
Zu Lacedämon und Byzantium,
Sie könnten ihm das Leben wohl erkaufen!

ERSTER SENATOR
Was meint Ihr?

ALCIBIADES
Ich sag Euch, edlen Dienst hat er getan
Und manchen Eurer Feind im Feld getötet;
Wie tapfer er noch kämpft' im letzten Treffen,
Das künden all die Wunden, die er schlug.

ZWEITER SENATOR
Ja, Ihr habt recht, zu viele Wunden schlug er;
Geschworner Raufbold ist er, und dies Laster
Betäubt ihn und raubt seinem Mut Besinnung.
Hätt er nicht andre Feinde, der allein
Könnt ihn besiegen; oft ward schon gesehn,
Daß er in viehscher Wut das Schnöde tat
Und mit Empörern hielt. So viel ist wahr,
Sein Rausch bringt Schande ihm und uns Gefahr.

ERSTER SENATOR
                                                Er stirbt.

ALCIBIADES
O hart Geschick, daß er nicht fiel im Krieg!
Nun wohl, wenn nicht um seiner Taten willen
- Kann gleich sein rechter Arm die Zeit ihm kaufen
Und niemand schuldig bleiben -, Euch zu rühren,
Nehmt meine Taten auch, vereint sie beide!
Und da ich weiß, es liebt Euer würdges Alter
Die Sicherheit, verpfänd ich meine Siege,
All meinen Ruhm, damit er zahl und zinse!
Verlangt Gesetz für diesen Fehl sein Leben,
Nun dann, im Krieg, in tapfern Schlachten sterb er!
Ist Satzung herb, so ist der Krieg noch herber.

ERSTER SENATOR
Wir stehn hier fürs Gesetz: er stirbt! Nichts weiter,
Bei unserm Zorn! Sei's Bruder, Sohn, Genoß:
Des Blut verfiel, der fremdes Blut vergoß.

ALCIBIADES
Muß es denn sein? Es muß nicht. Senatoren,
Ich bitt Euch sehr, erkennt mich wieder!

ZWEITER SENATOR
                                          Wie?

ALCIBIADES
Ruft mich zurück in Eur Gedächtnis!

DRITTER SENATOR
                                     Was?

ALCIBIADES
Gewiß, Eur Alter hat mich ganz vergessen.
Weshalb sonst ständ ich so verachtet hier
Und säh die kleine Gunst geweigert mir?
Das schmerzt die Wunden!

ERSTER SENATOR
                          Trotzt Ihr unserm Zorn?
Er ist an Worten schwach, doch stark im Tun:
Drum sei verbannt auf ewig!

ALCIBIADES
                             Ich verbannt?
Bannt Eure Torheit, Euren Wucher bannt,
Der den Senat abscheulich macht.

ERSTER SENATOR
Wenn nach zwei Tagen dich Athen noch faßt,
Fürcht unser schwer Gericht. Eh unser Geist
Noch mehr entbrennt, soll jener schleunigst sterben.
Die Senatoren gehn ab.

ALCIBIADES
So werdet alt und greis, bis ihr nur lebt
Noch als Gebein, verhaßt jedwedem Auge.
Ha, mich faßt Raserei: Ich schlug den Feind,
Indes ihr Gold sie zählten, ihre Münzen
Ausliehn auf hohen Zins! Und ich nur reich
An tapfern Narben! Und dafür nun so?
Ist Balsam dies, den der Senat, der Wuchrer,
In seines Feldherrn Wunden gießt? Verbannung!
Das ist nicht schlimm; willkommen ist Verbannung!
So hat mein Zorn und Grimm denn guten Grund,
Athen zu schlagen. Jetzt ermuntre ich
Mein mißvergnügtes Heer, werbe um Herzen.
's ist ehrenvoll, mit vielen sich zu schlagen;
Gleich Göttern soll kein Krieger Schmach ertragen.
Er geht ab.




SECHSTE SZENE

Timons Prunksaal


Musik. Tafeln sind gesetzt, die Diener stehn umher. [Timons Freunde] Mehrere Lords, Senatoren und andere kommen von verschiedenen Seiten herein.

ERSTER LORD
Ich wünsche Euch einen guten Tag, Freund.

ZWEITER LORD
Ich Euch gleichfalls. Ich glaube, dieser würdige Mann wollte uns neulich nur auf die Probe stellen.

ERSTER LORD
Eben darauf waren meine Gedanken auch gerichtet, als wir uns begegneten. Ich hoffe, es steht nicht so schlimm mit ihm, als er bei Prüfung seiner Freunde vorgab.

ZWEITER LORD
Nach dem, was dies neue Gastmahl uns verheißt, kann es wohl nicht sein.

ERSTER LORD
Das glaube ich auch; er sandte mir eine dringende Einladung, welche abzulehnen mir ernste Geschäfte nahe genug legten; aber er beschwor mich, auch die wichtigste Rücksicht fallen zu lassen, und so mußte ich denn notwendig erscheinen.

ZWEITER LORD
Auf gleiche Weise ward ich von sehr bedeutenden Geschäften abgehalten, aber er wollte meine Entschuldigung nicht hören. Es tut mir leid, daß mein Vorrat ganz erschöpft war, als er zu mir schickte, Geld aufzunehmen.

ERSTER LORD
An derselben Kränkung leide ich, da ich nun sehe, wie die Sachen stehen.

ZWEITER LORD
Jedem, der hier ist, geht es so. Wieviel wollt er Euch abborgen?

ERSTER LORD
Tausend Goldstücke.

ZWEITER LORD
Tausend Goldstücke!

ERSTER LORD
Wieviel von Euch?

ZWEITER LORD
Er schickte zu mir - doch hier kommt er.
Timon tritt auf mit Gefolge.

TIMON
Von Herzen gegrüßt, Ihr beiden edeln Männer! - Wie geht es Euch?

ERSTER LORD
Immer sehr gut, wenn ich Euer Gnaden Wohlergehen erfahre.

ZWEITER LORD
Die Schwalbe folgt dem Sommer nicht freudiger, als wir Euer Gnaden.

TIMON
beiseit.
Und verläßt auch den Winter nicht freudiger: solche Sommervögel sind die Menschen! - Ihr Herren, unser Mahl wird dieses langen Wartens nicht wert sein; weidet Eure Ohren indes an der Musik, wenn Trompetenklang ihnen keine zu harte Speise ist. Wir wollen uns gleich setzen.

ERSTER LORD
Ich hoffe, Ihr erinnert Euch dessen nicht unfreundlich, mein gnädiger Herr, daß ich Euch einen leeren Boten zurücksandte.

TIMON
Ei, laßt Euch das nicht beunruhigen.

ZWEITER LORD
Mein edler Lord -

TIMON
Ah, guter Freund! Wie gehts?
[Ein Bankett wird hergerichtet.]

ZWEITER LORD
Mein höchst verehrter Herr, ich bin krank vor Scham, daß ich, als Ihr neulich zu mir sandtet, ein so unglücklicher Bettler war.

TIMON
Denkt nicht weiter daran.

ZWEITER LORD
Hättet Ihr nur zwei Stunden früher geschickt -

TIMON
Stört damit nicht bessere Gedanken. -
Das Bankett wird hereingebracht.
Kommt, bringt alles zugleich!

ZWEITER LORD
Lauter verdeckte Schüsseln!

ERSTER LORD
Ein königliches Mahl, das glaubt mir!

DRITTER LORD
Daran zweifelt nicht: wie nur Geld und die Jahreszeit es liefern kann.

ERSTER LORD
Wie geht es Euch? Was gibts Neues?

DRITTER LORD
Alcibiades ist verbannt; habt Ihr davon schon gehört?

ERSTER UND ZWEITER LORD
Alcibiades verbannt?

DRITTER LORD
So ist es, zweifelt nicht.

ERSTER LORD
Wie denn? Wie denn?

ZWEITER LORD
Ich bitte Euch, aus welchem Grunde?

TIMON
Meine würdigen Freunde, wollt ihr näher treten?

DRITTER LORD
Ich will Euch nachher noch mehr davon erzählen. Hier steht uns ein herrlicher Schmaus bevor.

ZWEITER LORD
Dieser Mann ist noch der Alte.

DRITTER LORD
Wirds dauern? Wirds dauern?

ZWEITER LORD
Es wird; doch kommt die Zeit, und dann -

DRITTER LORD
Ich verstehe Euch.

TIMON
Ein jeder an seinen Platz, mit der Gier, wie er zu den Lippen seiner Geliebten eilen würde; an allen Plätzen werdet Ihr gleich bedient. Macht kein Zeremonien-Gastmahl daraus, daß die Gerichte kalt werden, ehe wir über den ersten Platz einig sind; setzt Euch, setzt Euch! Die Götter fordern unsern Dank.
O ihr großen Wohltäter, sprengt auf unsere Gesellschaft Dankbarkeit herab. Teilt uns von euren Gaben mit und erwerbt euch Preis; aber behaltet zurück für künftige Gabe, damit eure Gottheiten nicht verachtet werden. Verleiht einem jeden genug, damit keiner vom andern zu leihen braucht; denn zwänge die Not eure Gottheit, von den Menschen zu borgen, so würden die Menschen die Götter verlassen. Macht das Gastmahl beliebter als den Mann, der es gibt. Laßt keine Gesellschaft von zwanzig ohne eine Stiege Bösewichter sein; wenn zwölf Frauen an einem Tische sitzen, so laßt ein Dutzend von ihnen sein - wie sie sind. Den Rest eures Zehnten, o ihr Götter, die Senatoren von Athen zusamt der gemeinen Hefe des Pöbels - was in ihnen übel ist, ihr Götter, macht zum Verderben reif! Was diese meine gegenwärtigen Freunde betrifft - da sie mir nichts sind, so segnet sie in nichts, und so sind sie mir zu nichts willkommen. Deckt auf! Nun leckt, ihr Hunde!
Die Schüsseln werden aufgedeckt, sie sind alle voll warmen Wassers.

MEHRERE zugleich.
Was meint der edle Herr?

ANDERE
Ich weiß nicht.

TIMON
Mögt ihr ein beßres Gastmahl nimmer sehn,
Ihr Maulfreundrotte! Dampf und lauwarm Wasser
Ist eure Tugend. Dies ist Timons Letztes;
Den ihr bis jetzt mit Schmeicheleien schminktet,
Wäscht so sie ab und gießt euch ins Gesicht
Er schleudert das Wasser in ihre Gesichter.
Eure dampfende Gemeinheit!
[Er gießt ihnen Wasser ins Gesicht.]
                            Lebt lang, verachtet,
Ihr lächelnden, abscheulichen Schmarotzer,
Höfliche Mörder, sanfte Wölfe, freundliche Bären,
Ihr Narrn des Glücks, Tischfreunde, Tagesfliegen,
Scharrfüßge Sklaven, Dünste, Wetterhähne!
Von Mensch und Vieh jedwede schlimme Seuche,
Sie überschupp euch ganz! - Was, gehst du fort?
Nimm dein Arznei erst mit! - Auch du, und du!
[Er wirft ihnen die Schüsseln nach und treibt sie hinaus.]
Bleibt, ich will Geld euch leihn, von euch nicht borgen!
Er bewirft sie mit den Schüsseln.
Wie, all im Lauf? Kein Mahl sei mehr genommen,
An dem ein Schurke nicht als Gast willkommen!
Verbrenne, Haus; versink, Athen! Verhaßt nun seid
Dem Timon, Mensch und alle Menschlichkeit!
Er geht ab. Die [Gäste] Lords, Senatoren und Gefolge kommen zurück [mit noch andern Lords und Senatoren].

ERSTER LORD
Was ist das, Ihr Herren?

ZWEITER LORD
Wißt Ihr was Näheres um Timons Raserei?

DRITTER LORD
Habt Ihr meine Kappe nicht gesehen?

VIERTER LORD
Ich habe meinen Rock verloren.

[DRITTER] ERSTER LORD
Er ist nichts weiter als ein toller Lord, und nur Laune setzt ihn in Bewegung. Neulich schenkte er mir einen Edelstein, und nun hat er ihn mir vom Hute heruntergeschlagen. Habt Ihr meinen Edelstein nicht gesehen?

[VIERTER] DRITTER LORD
Habt Ihr meine Kappe nicht gesehen?

ZWEITER LORD
Hier ist sie.

VIERTER LORD
Hier liegt mein Rock.

ERSTER LORD
Laßt uns nicht verweilen!

ZWEITER LORD
Lord Timon rast.

DRITTER LORD
                  Ich fühls in den Gebeinen.

VIERTER LORD
Juwelen schenkt' er gestern uns, heut wirft er uns mit Steinen.
Alle ab.







VIERTER AKT

ERSTE SZENE

[Feld] Vor den Stadtmauern von Athen


Timon tritt auf.

TIMON
Laß mich noch einmal auf dich schaun. Du Mauer,
Die diese Wölf umschließt, tauch in die Erde,
Schutz nicht Athen! Fraun, werdet zügellos;
Trotzt euren Eltern, Kinder! Sklaven, Narren,
Reißt von dem Sitz die runzligen Senatsherrn
Und haltet Rat statt ihrer! Jungfraunreinheit
Verkehre plötzlich sich zu frecher Schande
In Gegenwart der Eltern! Bankrottierer,
Halt fest, gib nichts zurück; heraus das Messer,
Für deines Gläubgers Hals! Stehlt, ihr Leibeignen!
Langfinger sind auch eure Herrn und rauben
Ja kraft Gesetzes. Magd, ins Bett des Herrn!
Die Frau ist im Bordell. Sohn, sechzehn alt,
Die Krücke reiß dem lahmen Vater weg
Und schlag ihm aus das Hirn! Furcht, Frömmigkeit,
Scheu vor den Göttern, Friede, Recht und Wahrheit,
Zucht, Häuslichkeit, Nachtruh und Nachbartreue,
Belehrung, Sitte, Handwerk und Gewerbe,
Achtung und Brauch, Gesetz und Recht der Stände,
Stürzt euch vernichtend in eur Gegenteil,
Bis nur Vernichtung lebt! - Pest, Menschenwürger,
Häuf deine mächtgen, gifterfüllten Fieber
All auf Athen; zum Fall ists reif! Du Hüftweh,
Die Senatoren krümm, daß ihre Glieder
Lahm gleich den Sitten werden! Lust und Frechheit,
Schleich in das Mark und das Gemüt der Jugend,
Daß sie, dem Tugendstrom entgegenschwimmend,
In Wüstheit sich ertränkt! Mit Schwür und Beulen
Sei ganz Athen besät, und ewger Aussatz
Die Ernte; Atem stecke Atem an,
Daß ihre Näh gleich ihrer Freundschaft sei:
Gift durch und durch! Nichts nehm ich von dir mit
Als Nacktheit, du, des Absehens würdige Stadt!
Nimm auch noch das, mit hundertfachen Flüchen.
Timon geht nun zum Wald; das wildste Tier
Zeigt Lieb ihm mehr, als je die Menschen hier.
Auf ganz Athen - hört, Götter insgesamt! -
Auf Stadt und Land zugleich die Blitze flammt!
Gewährt, daß ich stets steigre mich im Hasse
Auf Hoch und G'ring, die ganze Menschenrasse!
Amen!
Geht ab.




ZWEITE SZENE

Athen. Ein Zimmer In Timons Hause


Flavius tritt auf und [mehrere] zwei oder drei Diener Timons.

ERSTER DIENER
Sprecht, Hausverwalter, wo ist unser Herr?
Sind wir vernichtet? Abgedankt? Bleibt nichts?

FLAVIUS
Gefährten, ach, was soll ich euch doch sagen?
Es sein mir Zeugen die gerechten Götter,
Ich bin so arm wie ihr.

ERSTER DIENER
                         Solch Haus gefallen!
Solch edler Herr verarmt! Verloren alles!
Kein Freund, der bei der Hand sein Schicksal faßt
Und mit ihm geht!

ZWEITER DIENER
                   Wie wir den Rücken wenden
Von dem Gefährten, den das Grab verschlang,
So schleichen vom begrabnen Glück sich alle
Die Freund, hinwerfend ihm die hohlen Schwüre,
Gleich leeren Beuteln; und sein armes Selbst,
Ein Bettler nur, der Luft anheimgefallen,
Mit seiner Krankheit, allvermiedner Armut,
Geht nun, wie Schmach, allein. -
[Es kommen noch andere Diener.]
                                  Noch mehr von uns!
Es kommen noch andere Diener.

FLAVIUS
Zerbrochenes Geschirr der Hauszerstörung!

DRITTER DIENER
Und doch trägt unser Herz noch Timons Kleid,
Das zeigt eur Antlitz; wir sind noch Kamraden,
All in des Kummers Dienst. Leck ist das Fahrzeug;
Wir Schiffer stehn auf sinkendem Verdeck
Und sehn die Wellen drohn: wir müssen scheiden
In diese See der Luft.

FLAVIUS
                        Ihr guten Freunde,
Hier teil ich unter euch mein letztes Gut.
Laßt uns, wo wir uns sehn, um Timons willen
Kamraden sein, die Häupter schütteln, sagen
Als Grabgeläut dem Glücke unsers Herrn:
Wir kannten beßre Tage. - Jedem etwas.
Er gibt ihnen Geld.
Nein, alle reicht die Hand! Und nun kein Wort!
So gehn wir arm, doch reich an Kummer, fort.
Sie umarmen sich und gehen in unterschiedlichen Richtungen ab. [Die Diener gehn ab.]
O furchtbar Elend, das uns Pracht bereitet!
O wer will wohl nach Glanz und Reichtum ringen,
Wenn sie uns hin zu Schmach und Armut zwingen?
Wer möchte so von Pracht genarrt sein? Wer wohl
Lebt' gern in einem Traum der Freundschaft nur?
Ansehn und Pracht und Wohlstand zu besitzen,
Gemalt nur, so wie die geschminkten Freunde?
Du Redlicher, verarmt durch Herzensgüte,
Durch Mild erwürgt! Wie ist Natur verdreht,
Wenn Allzugut als schlimmste Sünde steht.
Wer hilft durch Tugenden noch anderer Nöten,
Wenn sie nur Götter schaffen, Menschen töten?
O teurer Herr, gesegnet, um verflucht,
Reich, elend nur zu sein, dein groß Vermögen
Ist nun dein tiefstes Leid. Ach, gütger Herr!
Er brach in Wut aus dem hartherzgen Wohnort
Der viehschen Freunde. Nichts hat er bei sich
Zur Fristung und Erleichtrung seines Lebens.
Ich will ihm nach und, wo er ist, erforschen;
So gut ich kann, will ich für ihn noch schalten,
Was mir an Geld verblieb, für ihn verwalten.
Er geht ab.




DRITTE SZENE

Wald und Höhlen in der Nähe des Meeresufers


Timon tritt aus der Höhle auf.

TIMON
O Lichtgott, Segen zeugend, zieh herauf
Dunstfäulnis; deiner Schwester Luftbahn sei
Vergiftet! Zwillingsbrüder eines Schoßes,
Deren Erzeugung, Wohnung und Geburt,
Fast ungetrennt, trifft sie verschiednes Glück:
Der Größre höhnt den Niedern. Ja, Natur,
Von Wunden rings bedrängt, sie kann groß Glück
Ertragen nur, wenn sie Natur verachtet.
Erhebt den Bettler hier, nehmt fort dem Lord,
So folgt die Schmach wie angeerbt dem Herrn,
Dem Bettler eingeborne Ehre.
Die Weide schafft dem Rindvieh fette Seiten,
Der Mangel macht es mager. Wer, wer darf
In reiner Mannheit autrecht stehn und sagen:
»Der Mensch hier ist ein Schmeichler«? Denn wenn einer,
So sind es alle. Jeder höhern Staffel
Des Glücks schmiegt sich die untre; goldnem Dummkopf
Duckt der gelehrte Schädel. Schief ist alles,
Nichts grad in unsrer fluchbeladnen Menschheit,
Als ungekrümmte Bosheit. Seid verabscheut drum,
Gelage all, Gesellschaft, Menschendrang!
Denn Timon haßt die Gleichgeschaffnen, ja sich selbst.
Zernichtung dem Geschlecht der Menschen! - Erde,
Gib Wurzeln mir!
Er gräbt.
Wer Beßres in dir sucht, dem würz den Gaumen
Mit deinem stärksten Gift! - Was find ich hier?
Gold? Kostbar, flimmernd, rotes Gold? Nein, Götter,
Nicht eitel fleht ich. Wurzeln, reiner Himmel!
So viel hievon macht schwarz weiß, häßlich schön,
Schlecht gut, alt jung, feig tapfer, niedrig edel.
Ihr Götter, warum dies? Warum dies, Götter?
Ha, dies lockt euch den Priester vom Altar,
Reißt Halbgenesnen weg das Schlummerkissen.
Ja, dieser rote Sklave löst und bindet
Geweihte Bande, segnet den Verfluchten;
Er macht den Aussatz lieblich, ehrt den Dieb
Und gibt ihm Rang, gebeugtes Knie und Einfluß
Im Rat der Senatoren; dieser führt
Der überjährgen Witwe Freier zu;
Sie, von Spital und Wunden giftig eiternd,
Mit Ekel fortgeschickt, verjüngt balsamisch
Zu Maienjugend dies. Verdammt Metall,
Gemeine Hure du der Menschen, die
Die Völker tört. Komm, sei das, was du bist.
Man hört von weitem einen Marsch.
Ha, eine Trommel?
Lebendig bist du, doch begrab ich dich.
Ja, laufen wirst du noch, du starker Dieb,
Wenn dein gichtkranker Wärter nicht kann stehn. -
Doch so viel bleib als Handgeld.
Er behält einiges Gold zurück. Alcibiades tritt auf mit Trommeln und Pfeifen, auf kriegerische Weise. Phrynia und Timandra.

ALCIBIADES
                                  Wer bist du dort?
Sprich!

TIMON
Ein Vieh wie du. Mög doch dein Herz verfaulen,
Weil du mir wieder Menschenantlitz zeigst!

ALCIBIADES
Wie nennst du dich? Ist Mensch dir so verhaßt,
Und bist doch selbst ein Mensch?

TIMON
Misanthropos bin ich und hasse Menschheit.
Wärst du doch, besser dran zu sein, ein Hund,
So liebt ich etwas dich.

ALCIBIADES
                          Ich kenne dich;
Doch unbekannt und fremd ist mir dein Schicksal.

TIMON
Dich kenn ich auch; mehr wünsch ich nicht zu wissen,
Als daß du mir bekannt. Folg deiner Trommel,
Bemal mit Menschenblut den Grund, rot, rot!
Göttlich Gebot, menschlich Gesetz ist grausam;
Was soll der Krieg denn sein? Hier deine Dirne
Trägt mehr Zerstörung in sich als dein Schwert,
Trotz ihrem Engelsblick.

PHRYNIA
                          Daß dir die Lippen faulen!

TIMON
Nicht küssen will ich dich; so bleibt Verwesung
Dir an den Lippen hangen.

ALCIBIADES
Wie ward der edle Timon so verwandelt?

TIMON
So wie der Mond, wenn Licht ihm fehlt zu spenden;
Doch konnt ich nicht mich, wie der Mond, erneuen;
Mir borgte keine Sonne.

ALCIBIADES
                         Edler Timon,
Kann ich dir Freundschaft zeigen?

TIMON
                                   Eine nur:
Bestärke meinen Glauben.

ALCIBIADES
                               Welchen, Timon?

TIMON
Versprich mir Freundschaft, aber halte nichts!
Versprichst du nicht, so strafen dich die Götter,
Denn du bist Mensch! Und hältst du, so vernichten
Die Götter dich, denn du bist Mensch!

ALCIBIADES
Von deinem Elend hörte ich schon reden.

TIMON
Du sahst es damals, als das Glück mir lachte.

ALCIBIADES
Ich seh es jetzt; damals war Freudenzeit.

TIMON
Wie deine jetzt: zwei Huren stützen sie.

TIMANDRA
Ist dies die Zier Athens, von dem die Welt
So rühmlich sprach?

TIMON
                    Bist du Timandra?

TIMANDRA
                                       Ja.

TIMON
Bleib Hure stets! Dich liebt nicht, wer dich braucht.
Gib Krankheit dem, der seine Lust dir läßt.
Brauch deine geilen Stunden; deine Sklaven
Mach reif fürs heiße Bad, für Hungerkuren
Den blühnden Jüngling!

TIMANDRA
                       An den Galgen, Scheusal!

ALCIBIADES
Verzeih ihm, hold Geschöpf, denn sein Verstand
Ertrank und ging in seinem Elend unter. -
Nur wenig Gold besitz ich, wackrer Timon,
Und dieser Mangel bringt zum Aufstand täglich
Mein darbend Heer. Mit Leid vernahm ich, wie
Athen verrucht hat deines Werts vergessen
Und deines tapfern Streits, als Nachbarstaaten,
Wenn nicht dein glücklich Schwert war, es bewältigt.

TIMON
Ich bitte, schlag die Trommel, mach dich fort!

ALCIBIADES
Ich bin dein Freund, beklag' dich, teurer Timon!

TIMON
Wie kannst du den beklagen, den du plagst?
Ich wäre gern allein.

ALCIBIADES
                       Nun, so leb wohl;
Nimm dieses Gold!

TIMON
                   Behalts; ich kanns nicht essen.

ALCIBIADES
Wenn ich Athen, das stolze, umgestürzt -

TIMON
Bekriegst Athen?

ALCIBIADES
                  Ja, Timon, und mit Recht.

TIMON
Die Götter mögen all durch dich hinwürgen
Und dich nachher, wenn du sie all erwürgt!

ALCIBIADES
Weshalb mich, Timon?

TIMON
                      Weil, die Schurken tötend,
Du wardst erwählt, mein Vaterland zu tilgen.
Nimm hin dein Gold; geh - hier ist Gold - geh fort!
Sei wie Planetenpest, wenn Jupiter
In kranker Luft auf hochverruchte Städte
Sein Gift ausstreut; dein Schwert verschone keinen:
Nicht um sein Silberhaar den würdgen Greis,
Ein Wuchrer ists; hau die Matrone nieder,
Sie heuchelt, ihre Kleider nur sind sittsam,
Sie kuppelt frech; laß nicht der Jungfrau Wange
Stumpfen dein schneidend Schwert, denn diese Brüste,
Spitzenbedeckt den Männern in die Augen
Stechend, stehn auf des Mitleids Liste nicht,
Nein, gelten nur als scheußliche Verräter.
Auch nicht des Säuglings schone,
Des Wangengrübchen Narrn zum Weinen lächelt,
Denk, 's ist ein Bastard, den Orakelspruch
Mit dunklem Wort als deinen Mörder nennt,
Zerstück ihn mitleidslos! Schwör Tod dem Leben!
Leg erzne Rüstung dir auf Ohr und Auge,
So hart, daß Schrei von Mutter, Säugling, Jungfrau,
Des Priesters selbst, in heilgen Kleidern blutend,
Dir nichts sei. Hier ist Gold für deine Krieger:
Sä aus Vernichtung; ist dein Grimm erschöpft,
So sei vernichtet selbst! Sprich nichts und geh!

ALCIBIADES
Hast du noch Gold? So nehm ich dein Geschenk,
Nicht deinen Rat.

TIMON
Tu's oder tu es nicht, vom Himmel sei verflucht!

PHRYNIA und TIMANDRA
Gold, guter Timon, gib uns; hast du mehr?

TIMON
Genug, daß Huren ihren Stand verschwören,
Die Kupplerin nicht Huren feilscht. Die Schürzen
Weit auf, ihr Schlampen! - Eidesfähig seid ihr
Zwar nicht, allein ihr würdet furchtbar schwören,
Daß, hörend euren Schwur, die ewgen Götter
In Fieberschauern bebten. Spart die Eide,
Ich trau eurer Natur; bleibt Huren stets,
Und dem, des frommes Wort euch will bekehren,
Dem zeigt euch stark, verführt ihn, brennt ihn nieder,
Besiegt mit eurem Feuer seinen Rauch,
Abtrünnig nie! Seid dann sechs Mond in Mühn,
Dem ganz entgegen: deckt das arme Dach
Euch mit der Leichen Raub, auch von Gehängten;
Was tuts? Tragt das, betrügt damit, buhlt weiter!
Schminkt, bis ein Pferd euch im Gesicht bleibt stecken:
Pest auf die Runzeln!

PHRYNIA und TIMANDRA
Gut, mehr Gold! - Was weiter?
Glaub nur, wir tun für Gold, was du verlangst.

TIMON
                                                Auszehrung sät
In hohl Gebein des Manns; lähmt Schenkelknochen,
Des Reiters Kraft zerbrecht, des Anwalts Stimme,
Daß er nie mehr den falschen Spruch vertrete,
Und Unrecht kreische laut. Umschuppt mit Aussatz
Den Priester, der, auf Sinnenschwachheit lästernd,
Sich selbst nicht glaubt; fort mit der Nase, fort,
Glatt weg damit! Vernichtet ganz die Brücke
Ihm, der, sich eigne Jagd erschnüffelnd, nicht
Für alle spürt. Krausköpfge Raufer macht mir kahl;
Dem unbenarbten Kriegesprahler gebt
Gehörge Qual von euch; verpestet alles,
Und eure Tätigkeit erstick und dörre
Die Quelle aller Zeugung. - Nehmt mehr Gold!
Verderbt die andern, und Verderb euch dies,
Und Schlamm begrab euch alle!

PHRYNIA und TIMANDRA
Mehr Rat mit noch mehr Geld, freigebiger Timon!

TIMON
Mehr Hur, mehr Unheil erst; dies ist nur Handgeld.

ALCIBIADES
Nun, Trommeln, nach Athen! Leb wohl denn, Timon!
Gehts, wie ich hoffe, seh ich bald dich wieder.

TIMON
Gehts, wie ich wünsche, seh ich nie dich mehr.

ALCIBIADES
Nichts Böses tat ich dir.

TIMON
                           Doch, du sprachst gut von mir.

ALCIBIADES
Nennst du das bös?

TIMON
                         Erfahrung lehrt es täglich.
Geh, mach dich fort, und deine Meute auch!

ALCIBIADES
Wir sind ihm nur zur Last - schlagt. Trommeln; fort!
Trommeln. [Alcibiades, Phrynia und Timandra] Alle außer Timon gehn ab.

TIMON
Mußt du, Natur, krank in der Menschheit Abfall,
Noch hungern! -
[Er gräbt.]
                 Allgemeine Mutter du,
Er gräbt.
Dein Schoß unmeßbar, deine Brust unendlich,
Gebiert, nährt all; derselbe Stoff, aus dem
Dein stolzes Kind, der freche Mensch, aufquillt,
Erzeugt die schwarze Kröt und blaue Natter,
Die goldne Eidechs und die giftge Schlange
Und jeglich Scheusal unterm Himmelsbogen,
Auf das Hyperions Lebensfeuer strahlt.
Gib ihm, der deine Menschenkinder haßt,
Aus deinem gütgen Schoß nur eine Wurzel!
Vertrockne deine fruchtbar ewge Kraft,
Daß ihr kein undankbarer Mensch entspringe!
Gebier nur Tiger, Drachen, Wölf und Bären;
Wirt neue Unhold', die du nie zuvor
Der Marmorwölbung droben hast gezeigt! -
Oh, eine Wurzel! Inngen Dank dafür!
Vertrockne, Mark des Weinbergs, Fett der Äcker,
Woraus der undankbare Mensch mit süßem Trank
Und Leckerbiß den reinen Sinn verschlemmt,
Daß weg ihm gleitet alle Überlegung.
Apemantus tritt auf.
Ein Mensch schon wieder? Ha, verflucht!

APEMANTUS
Hieher ward ich gewiesen; man berichtet,
Daß du mein Leben nachahmst und mein Tun.

TIMON
So ist es nur, weil keinen Hund du hältst,
Dem ich nachahmen möchte. Dir die Pest!

APEMANTUS
Dies ist in dir nur angenommne Weise,
Unmännlich, arme Schwermut, die dem Wechsel
Des Glücks entsprang. Was soll der Platz, der Spaten?
Dies Sklavenkleid und dieser Traueranblick?
Noch liegt dein Schmeichler weich, trinkt Wein, trägt Seide,
Umarmt den kranken Wohlgeruch, vergessend,
Daß je ein Timon war. Schmäh nicht den Wald,
Daß du den bitter Höhnenden hier spielst.
Sei du ein Schmeichler jetzt, such zu gedeihn
Durch das, was dich gestürzt hat; beug dein Knie,
Der Atem schon des, dem dein Auge dient,
Blas dir die Mütze ab; sein Laster preise
Und nenn es Tugend! So ergings auch dir.
Du nicktest wie ein Bierzapf jedem Grüßer,
Schelmen, und wer es war; nun ists gerecht,
Daß du ein Schuft wirst; hättst du Geld genug,
So gäbst du's Schuften. Nimm nicht an mein Wesen.

TIMON
Wär ich dir gleich, so wollt ich fort mich schleudern.

APEMANTUS
Du warfst dich weg, da du dir selber glichest;
So lang ein Toller, nun ein Narr! Wie, denkst du,
Die rauhe Luft, dein stürmscher Kammerdiener,
Wärmt dir dein Hemd? Folgt altbemooster Baum,
Der Adler überlebt, hier deinen Fersen,
Und springt fort jedem Wink? Reicht kalter Bach
Mit Eisesrand den würzgen Morgentrunk,
Der Nacht Geschmack vertreibend? Ruf die Wesen,
Die nackt und bloß den kalten Sturm ausdauern
Der rauhen Luft, die unbehauste Schöpfung,
Dem Kampf der Elemente hingegeben,
Treu der Natur; befiehl, daß sie dir schmeicheln,
So findst du -

TIMON
                Daß ein Narr du bist; geh weg!

APEMANTUS
Du bist mir lieber jetzt als ehemals.

TIMON
Verhaßter du.

APEMANTUS
               Weshalb?

TIMON
                         Des Elends Schmeichler!

APEMANTUS
Ich schmeichle nicht; ich sag, du bist ein Lump.

TIMON
Doch weshalb suchst du mich?

APEMANTUS
                              Um dich zu quälen.

TIMON
Stets eines Narren oder Schuftes Amt.
Gefällst du dir drin?

APEMANTUS
                       Ja.

TIMON
                            Wie! Schurk auch noch?

APEMANTUS
Nähmst du dies bittre, kalte Wesen an,
Um deinen Stolz zu züchtigen, wär es gut;
Doch nur gezwungen tust du's; würdest Höfling,
Wenn du kein Bettler wärst. Freiwillig Elend
Krönt selbst sich, überlebt unsichre Pracht;
Die füllt sich selber an und wird nie voll;
Doch jenes gnügt sich selbst; der höchste Stand
Ist, unzufrieden, kläglich und voll Jammer,
Noch schlimmer als der schlimmste, der zufrieden.
Du sollst zu sterben wünschen, da du elend.

TIMON
Nicht, weil du's sagst, der weit elender ist.
Du bist ein Sklav, den nie der Liebesarm
Des Glücks umfing; ein Hund wardst du geboren.
Hättst du, gleich uns, vom Säugling her erstiegen
Die süße Folg, die schnell die Welt dem bietet,
Der frei darf winken jedem Reiz, der ihm
Gehorcht, du hättest dich gestürzt in Schwelgen,
Ganz ohne Maß; die Jugend schmelzen lassen
In manchem Bett der Lust und nie gehört
Der Mahnung eisig Wort; du jagtest nach
Dem süßen Wild vor dir. Dagegen ich,
Der ich als Zuckerwerk die Welt besaß;
Mund, Zungen, Augen, Herzen aller Menschen
Im Dienst, mehr, als ich Arbeit für sie wußte,
Die zahllos an mir hingen, so wie Blätter
Am Eichbaum, sind durch einen Winterfrost
Vom Zweig gelöst, und offen steh ich, bar
Für jeden Sturm, der bläst. Dies mir zu tragen,
Der nur das Beßre kannte, ist fast schwer;
Dein Leben fing mit Leiden an, gehärtet
Hat dich die Zeit. Was solltst du Menschen hassen?
Sie schmeichelten dir nie: was gabst du ihnen?
Willst fluchen du, so fluche deinem Vater,
Dem armen Schelm, der in Verzweiflung Stoff
Gab irgendeiner Bettlerin, dich formte,
Armseligkeit von Ahnen her. Geh weg!
Wärst du nicht als der Menschheit Wegwurf schon
Geborn, wärst du ein Schurke und ein Schmeichler.

APEMANTUS
Bist du noch stolz?

TIMON
                     Ja, daß ich du nicht bin.

APEMANTUS
Ich, weil ich kein Verschwender war.

TIMON
                                      Und ich,
Weil ich es jetzt noch bin.
Wär all mein Reichtum in dir eingeschlossen,
So gäb ich dir Erlaubnis, dich zu hängen.
Fort!
Wär alles Leben von Athen in diesem,
So äß ichs.
Er ißt eine Wurzel.

APEMANTUS
Hier, ich will dein Mahl verbessern.
[Er bietet ihm etwas an.]

TIMON
Erst beßre meinen Umgang, schaff dich fort!

APEMANTUS
So beßr ich meinen eignen, wenn du fehlst.

TIMON
Gebessert wär er nicht, nein, nur geflickt,
Wo nicht, wünscht ichs.

APEMANTUS
                         Was wünschest du Athen?

TIMON
Dich durch den Wirbelwind dahin! Und willst du,
So sage dort, ich habe Gold; sieh hier!

APEMANTUS
Hier kann kein Gold was nutzen.

TIMON
                                 Doch, am meisten!
Hier schläfts und läßt zum Unheil sich nicht dingen.

APEMANTUS
Wo liegst die Nacht du, Timon?

TIMON
                                Unter dem,
Was mich bedeckt. Wo fütterst du am Tage?

APEMANTUS
Wo mein Hunger Nahrung findet, oder vielmehr, wo ich sie verzehre.

TIMON
Ich wollte, Gift gehorchte mir und wüßte meine Meinung.

APEMANTUS
Wohin wolltest du es senden?

TIMON
Dein Mahl zu würzen.

APEMANTUS
Den Mittelweg der Menschheit kanntest du nie, sondern nur die beiden äußersten Enden. Als du in Gold und Wohlgeruch lebtest, wurdest du wegen zu gesuchter Feinheit verspottet; in deinen Lumpen kennst du sie gar nicht mehr und wirst um ihres Gegenteils willen verabscheut. Hier hast du eine Mispel, iß sie.

TIMON
Ich esse nicht, was ich hasse.

APEMANTUS
Hassest du Mispeln?

TIMON
Ja, wenn sie dir auch gleichsehen.

APEMANTUS
Hättest du die diesen Mispeln ähnlichen faulen Zwischenträger früher gehaßt, so würdest du dich jetzt mehr lieben. Kanntest du je einen Verschwender, der noch geliebt ward, wenn seine Mittel dahin waren?

TIMON
Wen, ohne diese Mittel, von denen du sprichst, sahst du je geliebt?

APEMANTUS
Mich selbst.

TIMON
Ich verstehe dich; du hattest einmal so viel, daß du dir einen Hund halten konntest.

APEMANTUS
Was auf der ganzen Welt kannst du am besten mit deinen Schmeichlern vergleichen?

TIMON
Die Frauen; aber die Männer, die Männer sind das Ding selbst. Was würdest du mit der Welt machen, Apemantus, wenn sie dir gehörte?

APEMANTUS
Ich würde sie dem Vieh geben, um die Menschen loszuwerden.

TIMON
Wolltest du denn mit den übrigen Menschen zugrunde gehen und ein Vieh unter dem Vieh bleiben?

APEMANTUS
Ja, Timon.

TIMON
Ein viehischer Wunsch, den ich die Götter bitte zu gewähren! Wärst du der Löwe, so würde der Fuchs dich betrügen; wärst du das Lamm, so würde der Fuchs dich fressen; wärst du der Fuchs, so würdest du dem Löwen verdächtig werden, wenn dich der Esel vielleicht verklagte; wärst du der Esel, so würde deine Dummheit dich plagen, und du lebtest doch nur als ein Frühstück für den Wolf; wärst du der Wolf, so würde deine Gefräßigkeit dich quälen, und du müßtest dein Leben oft wegen deines Mittagessens wagen; wärst du das Einhorn, so würden Stolz und Wut dich zugrunde richten, und du würdest die Beute deines eigenen Grimmes; wärst du der Bär, so tötete dich das Pferd; wärst du das Pferd, so ergriffe dich der Leopard; wärst du der Leopard, so wärst du des Löwen Bruder, und deine eigenen Flecken würden sich gegen dein Leben verschwören, deine ganze Sicherheit wäre Verstecktsein und deine Verteidigung Abwesenheit. Welch Vieh könntest du sein, das nicht einem andern Vieh unterworfen wäre? Und welch ein Vieh bist du schon, daß du nicht einsiehst, wieviel du in der Verwandlung verlörest?

APEMANTUS
Könntest du mir durch Reden gefallen, so hättest du es hiemit getroffen; der Staat von Athen ist ein Wald von Vieh geworden.

TIMON
Wie ist der Esel durch die Mauern gebrochen, daß du außer der Stadt bist?

APEMANTUS
Dort kommen ein Dichter und ein Maler; die Pest der Gesellschaft treffe dich! Aus Furcht, angesteckt zu werden, gehe ich fort. Wenn ich einmal nicht weiß, was ich sonst tun soll, will ich dich wieder besuchen.

TIMON
Wenn es außer dir nichts Lebendiges mehr gibt, sollst du willkommen sein. Ich möchte lieber eines Bettlers Hund als Apemantus sein.

APEMANTUS
Du bist das Haupt der Narrn der ganzen Welt.

TIMON
Wärst du doch rein genug, dich anzuspein.

APEMANTUS
Verwünscht bist du, zu schlecht, um dir zu fluchen,

TIMON
Mit dir gepaart ist jeder Schuft ein Edler.

APEMANTUS
Nicht andern Aussatz gibts, als was du sprichst.

TIMON
Ja, nenn ich dich! - Ich schlüg dich, doch das würde
Die Hände mir vergiften.

APEMANTUS
O könnte doch mein Mund sie faulen machen!

TIMON
Hinweg, du Sprößling eines räudigen Hundes!
Die Wut erstickt mich, daß du Leben hast;
Mir schwindelt, seh ich dich!

APEMANTUS
                               O mögst du bersten!

TIMON
Fort, lästiger Schuft! Mich dauerts, einen Stein
An dich zu wenden.
Er wirft einen Stein nach ihm.

APEMANTUS
                    Tier!

TIMON
                           Sklav!

APEMANTUS
                                   Kröte!

TIMON
                                                Schelm!
[Apemantus zieht sich zurück, als ob er gehen wollte.]
Mir ekelt ob der falschen Welt, und lieben
Will ich von ihr die kahle Notdurft nur.
Drum, Timon, grabe dir alsbald dein Grab,
Lieg, wo der Seeschaum täglich schlagen mag
Den Stein; dein Epitaph schreib in der Grotte,
Daß Tod in mir des Lebens andrer spotte.
Er betrachtet das Gold.
Du süßer Königsmörder, edle Scheidung
Des Sohns und Vaters! Glänzender Besudler
Von Hymens reinstem Lager! Tapfrer Mars!
Du ewig blühnder, zartgeliebter Freier,
Des roter Schein den heilgen Schnee zerschmelzt
Auf Dianas reinem Schoß! Sichtbare Gottheit,
Die du Unmöglichkeiten eng verbrüderst,
Zum Kuß sie zwingst! Du sprichst in jeder Sprache,
Zu jedem Zweck! O du, der Herzen Prüfstein!
Denk, es empört dein Sklave sich, der Mensch;
Vernichte deine Kraft sie all verwirrend,
Daß Tieren wird die Herrschaft dieser Welt!

APEMANTUS
O wär es so!
Doch wenn ich tot bin. - Daß du Gold hast, sag ich;
Bald drängt sich alles zu dir.

TIMON
                                Zu mir?

APEMANTUS
                                         Ja.

TIMON
Den Rücken zeig!

APEMANTUS
                  Dein Elend lieb und lebe!

TIMON
So lebe lang und stirb so! -
Apemantus geht ab.
                             Wir sind quitt. -
[Apemantus geht ab.]
Mehr Menschengleiches? - Iß und hasse sie.
Es kommen mehrere Banditen.

ERSTER BANDIT
Woher sollte er Gold haben? So ein armer Rest, ein kleines Korn vom Geretteten; nur der Mangel an Gold und der Abfall seiner Freunde brachten ihn in diese Schwermut.

ZWEITER BANDIT
Das Gerücht geht, er habe einen großen Schatz.

DRITTER BANDIT
Wir wollen es mit ihm probieren; wenn er nichts danach fragt, so gibt er es uns gleich; wenn er es aber geizig hütet, wie sollen wir es kriegen?

ZWEITER BANDIT
Ja, denn er trägt es nicht bei sich, es ist vergraben.

ERSTER BANDIT
Ist er das nicht?

DIE ANDEREN BANDITEN
Wo?

ZWEITER BANDIT
Nach der Beschreibung ist ers.

DRITTER BANDIT
Ja, ich kenne ihn.

DIE BANDITEN
Guten Tag, Timon!

TIMON
Was, Diebe?

DIE BANDITEN
Krieger, nicht Diebe.

TIMON
Beides, und von Weibern geboren.

DIE BANDITEN
Wir sind nicht Diebe, Menschen nur im Mangel.

TIMON
Eur größter Mangel ist, euch mangelt Speise.
Weshalb der Mangel? Wurzeln hat die Erde;
In Meilenumfang springen hundert Quellen,
Der Baum trägt Eicheln, Sträucher rote Beeren;
Natur, die gütige Hausfrau, breitet aus
Auf jedem Busch ein volles Mahl. Was Mangel?

ERSTER BANDIT
Wir können nicht von Krautern, Beeren, Wasser,
Wie wildes Tier, wie Fisch und Vogel leben.

TIMON
Noch von den Tieren, Fischen, Vögeln selbst;
Auch Menschen müßt ihr zehren. Danken muß ich,
Daß ihr seid offne Dieb und waltet nicht
In heilgerm Schein; unendlich ist der Raub,
Den jeder Stand mit Ehren treibt. Hier, Schufte,
Nehmt Gold; geht, saugt das zarte Blut der Traube,
Bis siedend heiß das Blut vom Fieber schäumt
Und euch das Hängen spart. Traut keinem Arzt;
Sein Gegengift ist Gift, und er erschlägt
Schlimmer als ihr, raubt Gold zusamt dem Leben.
Übt Büberei; ihr übt sie im Beruf,
Als zünftig. Alles, hört, treibt Dieberei;
Die Sonn ist Dieb, beraubt durch ziehnde Kraft
Die weite See; ein Erzdieb ist der Mond,
Da er wegschnappt sein blasses Licht der Sonne;
Das Meer ist Dieb, des nasse Woge auflöst
Den Mond in salzge Tränen; Erd ist Dieb,
Sie zehrt und zeugt aus Schlamm nur, weggestohlen
Von allgemeinem Auswurf; Dieb ist alles.
Gesetz, euch Peitsch und Zaum, stiehlt trotzig selbst
Und ungestraft. - Fort! Liebt einander nicht,
Beraubt einander selbst! Hier, noch mehr Gold!
Die Kehlen schneidet; was ihr seht, sind Diebe.
Fort, nach Athen, und brecht die Läden auf,
Ihr stehlt nichts, was ihr nicht dem Dieb entreißt;
Stehlt minder nicht, weil ich euch dies geschenkt,
Und Gold verderb euch jedenfalls! Amen.
[Timon zieht sich in seine Höhle zurück.]

DRITTER BANDIT
Er hat mich fast von meinem Gewerbe weg beschworen, indem er mich dazu antrieb.

ERSTER BANDIT
Es ist nur aus Bosheit gegen das menschliche Geschlecht, daß er uns diesen Rat gibt, nicht, damit wir in unserm Beruf glücklich sein sollen.

ZWEITER BANDIT
Ich will ihm, als einem Feinde, glauben und mein Handwerk aufgeben.

ERSTER BANDIT
Laßt uns erst Athen wieder in Frieden sehen; keine Zeit ist so schlimm, wo man nicht ehrlich sein könnte.
Die Banditen gehn ab. Flavius tritt auf.

FLAVIUS
O Götter ihr! Ist jener
Schmachvolle und verfallne Mann mein Herr?
So abgezehrt, in Lumpen? O du Denkmal
Und Wunderwerk von Guttat, schlecht vergolten!
Welch Gegenbild von Ehr und Pracht hat hier
Verzweiflungsvoller Mangel aufgestellt!
Gibts Niedrers auf der Welt, als Freunde schändlich,
Die edlen Sinn in Schmach so stürzen endlich?
Wie treffend stehts für unsre Zeit geschrieben,
Daß wir auch unsre Feinde sollen lieben!
Ihm, der mich haßt, sei Liebe ehr geschenkt
Als dem, der Liebe heuchelt. Böses denkt! -
Er faßte mich ins Aug; ich will ihm zeigen
Den tiefen Gram und ihm als meinem Herrn,
Solang ich lebe, dienen. - Teurer Herr!
Timon kommt [aus seiner Höhle] näher.

TIMON
Wer bist du? Fort!

FLAVIUS
                    Herr, habt Ihr mich vergessen?

TIMON
Was fragst du? Ich vergaß die ganze Menschheit;
Und bist du Mensch, so hab ich dich vergessen.

FLAVIUS
Ich bin Eur redlicher und armer Diener.

TIMON
So kenn ich dich nicht, denn ein Redlicher
War nie bei mir; all meine Diener Schurken,
Die Schufte nur bei Tisch bedienten.

FLAVIUS
                                      Götter,
Bezeugt es, wie nie treuem Gram empfand
Ein Hausverwalter um des Herren Sturz,
Als ich um Euch.

TIMON
Wie, weinst du? Komm heran; so lieb ich dich,
Weil du ein Weib bist und dich los hier sagst
Vom Mannsgeschlecht, des Auge nimmer tropft,
Als nur in Lachenslust. Mitleid rührt keinen;
Im Lachen weinen, seltsam, nicht im Weinen!

FLAVIUS
Ich fleh, mein guter Lord, verkennt mich nicht,
Weist meinen Gram nicht ab, nehmt als Verwalter
Mich an, solang die kleine Summe währt.

TIMON
Hatt ich 'nen Diener, so gerecht, so treu,
Und nun so trostreich? Beinah stimmt es milde
Mein wild Gemüt. Laß mich dein Antlitz sehn! -
Gewiß, vom Weib ist dieser Mann geboren. -
Verzeiht den raschen, allgemeinen Fluch,
Ewig gelaßne Götter! Ich bekenn es,
Ein Mensch ist redlich - hört mich recht - nur einer;
Nicht mehr, versteht - und der ist Hausverwalter.
Wie gern möcht ich die ganze Menschheit hassen!
Du kaufst dich los; doch außer dir trifft alle
Mein wiederholter Fluch.
Doch, dünkt mich, bist du redlich mehr als klug,
Denn wenn du mich verrietst und hintergingst,
So hättest du leicht neuen Dienst gefunden;
Denn mancher findet so den zweiten Herrn,
Der auf den ersten tritt. Doch sprich mir wahr
- Ich zweifle noch, bin ich gleich überzeugt -,
Ist deine Freundlichkeit nicht Habsucht, List,
Des Wuchrers Liebe? Wie ein Reicher schenkt
Und hofft, daß zwanzig er für eins empfange?

FLAVIUS
Nein, teurer, liebster Herr, in dessen Brust
Argwohn und Zweifel, ach, zu spät nun wohnen!
Hättst du im Glück die falsche Zeit erkannt!
Entspringt nur Argwohn, wo das Glück verschwand?
Beim Himmel, was ich zeig, ist lautre Liebe,
Daß meine Treu, Euer edles Herz erkennend,
Für Eure Nahrung sorgen will; und glaubt,
Mein höchst verehrter Herr,
Daß ich das allerhöchste Glück nicht tausche,
Das jetzt mir oder künftig winken könnte
Für diesen Wunsch; es stand in Eurer Macht,
Durch Euer eignes Glück mich zu belohnen.

TIMON
Nun sieh, so ists! Du einzger Redlicher,
Hier, nimm! Aus meinem Elend senden dir
Die Götter diesen Schatz. Sei reich und glücklich!
Doch nur mit dem Beding: Zieh fern von Menschen,
Fluch allen, keinen laß Erbarmen finden,
Laß Fleisch vor Hunger am Gebein verschwinden,
Eh du dem Bettler hilfst. Gib Hunden, was
Du Menschen weigerst; Kerker schling sie ein,
Laß Schulden sie zu nichts verschrumpfen,
Verdorren sie, wie Frost die Wälder trifft,
Und zehr ihr falsches Blut des Fiebers Gift!
Und so: Fahr wohl, sei glücklich!

FLAVIUS
                                   Laßt mich bleiben,
Zum Trost Euch, liebster Herr!

TIMON
                                Liebst du nicht Flüche,
So mach dich fort, gesegnet, jetzt zu gehn.
Die Menschen flieh, laß mich dich nimmer sehn!
Sie gehn nach verschiedenen Seiten ab.







FÜNFTER AKT

ERSTE SZENE

Der Wald. Vor Timons Höhle


Es treten auf der Dichter und Maler, [Timon im Hintergrund].

MALER
So wie ich mir den Ort habe beschreiben lassen, kann sein Aufenthalt nicht weit mehr sein.

DICHTER
Was soll man von ihm denken? Bestätigt sich das Gerücht, daß er so viel Gold hat?

MALER
Gewiß! Alcibiades sagt es, Phrynia und Timandra bekamen Gold von ihm, er bereicherte auch arme umherstreifende Soldaten mit einer großen Spende, und man sagt, daß er seinem Haushofmeister eine beträchtliche Summe gab.

DICHTER
Also war sein Bankrott nur eine Prüfung seiner Freunde.

MALER
Weiter nichts; ihr werdet ihn wieder als einen Palmbaum in Athen erblicken, blühend bis zum Gipfel. Darum ist es nicht übel getan, wenn wir ihm jetzt in seinem vermeinten Unglück unsre Liebe bezeigen; es erscheint in uns als Rechtlichkeit; und wahrscheinlich lohnt sich unser Unternehmen, wenn das Gerücht, das seinen Reichtum verkündet, wahr ist.

DICHTER
Was habt Ihr ihm denn jetzt zu bringen?

MALER
Für den Augenblick nichts als meinen Besuch; ich will ihm aber ein herrliches Stück versprechen.

DICHTER
Ich muß ihn auf dieselbe Art bedienen, ihm von einem Entwurf erzählen, der sich auf ihn bezieht.

MALER
Vortrefflich! Versprechen ist die Sitte der Zeit, es öffnet die Augen der Erwartung; Vollziehen erscheint um so dummer, wenn es eintritt; und, die einfältigen, geringen Leute ausgenommen, ist die Verwirklichung des gegebenen Wortes völlig aus der Mode. Versprechen ist sehr hofmännisch und guter Ton. Vollziehen ist eine Art von Testament, das von gefährlicher Krankheit des Verstandes bei dem zeugt, der es macht.
Timon tritt aus seiner Höhle.

TIMON
beiseit.
Trefflicher Künstler, du kannst einen Menschen nicht so schlecht malen, als du selbst bist.

DICHTER
Ich denke darüber nach, was ich vorgeben will, das ich für ihn angefangen habe; es muß eine Darstellung von ihm selbst sein; eine Satire gegen die Weichlichkeit des Wohlstandes; eine Enthüllung der unbegrenzten Schmeichelei, die der Jugend und dem Überfluß folgt.

TIMON
beiseit.
Mußt du denn durchaus als Bösewicht in deinem eignen Werk dastehn? Willst du deine Laster in andern Menschen geißeln? Tu's, ich habe Gold für dich!

DICHTER
Kommt, suchen wir ihn auf,
Daß unser Zögern sich nicht schwer vergeht,
Winkt uns Gewinn und kämen wir zu spät.

MALER
                                         Sehr wahr;
Am heitern Tag erspähe, was dir fehlt,
Eh es die Nacht im dunkeln Schoß verhehlt.
So kommt!

TIMON
beiseit.
           Entgegen tret ich euch. O welch ein Gott
Ist Gold, daß man ihm dient im schlechtem Tempel,
Als wo das Schwein haust! Du bists, der das Schiff
Auftakelt und den Schaum des Meers durchpflügt,
Machst, daß dem Knecht mit Ehrfurcht wird gehuldigt.
Anbetung dir! Und deine Heilgen lohne,
Die dir allein gedient, die Pest als Krone!
Schnell tret ich auf sie zu.
Er kommt vor.

DICHTER
                              Heil, würdger Timon!

MALER
Einst unser edler Herr!

TIMON
                         Erleb ichs doch noch,
Zwei Redliche zu sehn?

DICHTER
Wir hörten, die wir oft dein Wohltun fühlten,
Du seist vereinsamt, abgewandt die Freunde,
Die, undankbaren Sinns - Scheusale ihr!
Nicht scharf genug sind alle Himmelsgeißeln -
Wie! Dich, des sternengleiche Großmut Leben
Und Nahrung ihrem ganzen Wesen gab!
Es macht mich toll, und nicht weiß ich zu kleiden
Die riesengroße Masse dieses Undanks
In noch so große Worte.

TIMON
So geh er nackt, man sieht ihn klarer dann;
Ihr Redlichen zeigt so, durch euer Wesen,
Die andern um so schlechter.

MALER
                              Er und ich,
Wir wandelten im Regen deiner Gaben,
Der uns erquickend traf.

TIMON
                          Ja, ihr seid ehrlich.

MALER
Wir kommen her, dir unsern Dienst zu bieten.

TIMON
Ihr Redlichen! Ei, wie vergelt ichs euch?
Nun, könnt ihr Wurzeln essen, Wasser trinken?

BEIDE
Was wir nur können, tun wir, dir zu dienen.

TIMON
Ihr Redlichen vernahmt, ich habe Gold;
Gewiß, ihr habt; sprecht wahr, denn ihr seid redlich!

MALER
Man sagt es, edler Lord; doch deshalb nicht
Kam ich zu Euch, so wenig als mein Freund.

TIMON
Ehrliche Männer ihr; - du malst Gemälde,
Der best in ganz Athen bist du, fürwahr!
Malst nach dem Leben.

MALER
                       Lieber Herr, so so.

TIMON
Ganz wie ich sagte, ists. -
Zum Dichter.
                             Und deine Dichtung!
Ha, fließt dein Vers nicht hin so glatt und zart,
Daß deine Kunst natürlich wieder wird! -
Bei alledem, ihr wohlgesinnten Freunde,
Ich sag es frei, habt ihr 'nen kleinen Fehler;
Freilich, nicht groß ist er an euch, noch wünsch ich,
Daß ihn zu bessern ihr euch müht.

BEIDE
                                  Geruht,
Ihn uns zu nennen!

TIMON
                    Doch ihr nehmt es übel.

BEIDE
Wir nehmens dankbar an.

TIMON
                         Wollt ihr das wirklich?

BEIDE
Nicht zweifelt, edler Lord!

TIMON
Ein jeder von euch beiden traut 'nem Schurken,
Der tüchtig euch betrügt.

BEIDE
                           Herr, tun wir das?

TIMON
Ja, und ihr hört ihn lügen, seht ihn heucheln,
Ihr kennt sein grobes Flickwerk, liebt ihn, nährt ihn,
Tragt ihn im Herzen; aber seid gewiß,
Er ist ein ausgemachter Schuft.

MALER
Ich kenne keinen solchen, Herr.

DICHTER
                                 Noch ich.

TIMON
Seht ihr, ich lieb euch, ich will Gold euch geben,
Verbannt die Schufte nur aus eurer Nähe;
Hängt, stecht sie nieder, werft sie in den Abtritt,
Vernichtet sie, wie's geht, und kommt zu mir!
Ich geb euch Gold genug.

BEIDE
Nennt sie, verehrter Herr, macht sie uns kenntlich!

TIMON
Du hier, du dorthin: doch sind zwei beisammen;
Steht jeder auch für sich, einsam, allein,
Ist doch ein Erzschuft stets mit ihm verbunden.
Zum Maler.
Wenn, wo du stehst, zwei Schufte nicht sein sollen,
Komm ihm nicht nah. -
Zum Dichter.
                       Wenn du nicht hausen willst,
Als wo ein Schuft nur ist, so meide ihn.
Fort! Hier ist Gold; ihr kamt nach Gold, ihr Sklaven;
Zum Maler.
Für eure Arbeit nehmt Bezahlung; fort!
Zum Dichter.
Du bist ein Alchimist, mach daraus Gold!
Fort, Lumpenhunde!
Er schlägt sie und geht ab, indem er sie vor sich hertreibt und kehrt dann in seine Höhle zurück.




[ZWEITE SZENE

Vor Timons Höhle]


Es treten auf Flavius und zwei Senatoren.

FLAVIUS
Vergeblich, daß Ihr Timon sprechen wollt,
Denn in sich selbst ist er so ganz versunken,
Daß außer ihm nichts, was dem Menschen gleicht,
Freund mit ihm ist.

ERSTER SENATOR
                     Führ uns zu seiner Höhle;
Wir sind gesandt, versprachen den Athenern,
Mit ihm zu reden.

ZWEITER SENATOR
                   Nicht in allen Zeiten
Ist stets der Mensch sich gleich. Zeit und sein Gram
Schuf so ihn um; wenn Zeit mit mildrer Hand
Der vorgen Tage Glück ihm wieder bietet,
Macht sie zum vorgen Mann ihn. Führt uns zu ihm;
Dann geh es, wie es kann.

FLAVIUS
                           Hier ist die Höhle. -
Sei Fried und Wohlsein hier! Timon! Gebieter!
Schaut her und sprecht mit Freunden: Die Athener
Begrüßen Euch durch würdige Senatoren.
O edler Timon, sprecht mit ihnen!
Timon tritt aus seiner Höhle auf.

TIMON
Du Sonne, heilsame, verbrenne! - Sprecht
Und seid gehängt! Für jedes wahre Wort
Euch Blasen auf die Zung! Und jedes falsche
Brenn als ein glühend Eisen sie euch aus,
Im Sprechen sie vernichtend!

ERSTER SENATOR
                              Werter Timon -

TIMON
Nur solcher wert als Ihr, wie Ihr des Timon.

[ZWEITER] ERSTER SENATOR
Timon, es grüßt dich der Senat Athens.

TIMON
Ich dank ihm; schickt ihm gern die Pest zurück,
Könnt ich für ihn sie greifen.

[ZWEITER] ERSTER SENATOR
                                O vergiß,
Was für uns selbst wir deinethalb betrauern.
Die Senatoren mit einstimmger Liebe
Ersuchen dich, heim nach Athen zu kehren,
Dir hohe Würden bietend, welche offen
Daliegen, daß du dich mit ihnen schmückst.

[ERSTER] ZWEITER SENATOR
Und sie gestehn,
Zu gröblich wars, wie alle dich vergaßen.
Jetzt hat nun der gesamte Staat, der selten
Nur widerruft, gefühlt, wie sehr die Hülfe
Ihm Timons fehlt, und deutlich nur empfunden,
Wie er gefehlt, dem Timon Hülfe weigernd.
Er sendet uns, als Ausdruck seines Kummers,
Zugleich mit der Belohnung, die ergiebger
Als die Verletzung, noch so scharf gewogen;
So aufgehäufte Summen, Lieb und Gold,
Daß sie auslöschen ganz des Staates Schuld
Und dir einschreiben ihrer Liebe Zahlen,
Daß du sie stets als deine kannst berechnen.

TIMON
Wie ihr mich bezaubert,
Mich überrascht, daß fast die Träne rinnt!
Leiht mir des Toren Herz, des Weibes Auge,
Bei eurem Trost zu weinen, Senatoren!

[ZWEITER] ERSTER SENATOR
Laß dirs gefallen, kehre heim mit uns;
Nimm über unser, dein Athen, die Herrschaft
Als Oberhaupt, und Dank soll dich belohnen,
Vollkommne Macht dich krönen und dein Name
Im Ruhm erblühn - wenn wir zurückgetrieben
Das freche Nahn des Alcibiades,
Der, wildem Eber gleich, aufwühlt den Frieden
Des Vaterlands.

[ERSTER] ZWEITER SENATOR
Und der die Türm Athens
Mit seinem Schwert bedroht.

[ZWEITER] ERSTER SENATOR
                             Timon, darum -

TIMON
Gut, Herr, ich will; drum will ich, Freund, und so:
Fällt meine Landsleut Alcibiades,
Laßt Alcibiades von Timon wissen,
Daß Timon
Nichts danach fragt. Schleift er die edle Stadt
Und zupft die frommen Greis an ihren Bärten,
Gibt unsre heilgen Jungfraun preis der Schmach
Des tierisch wilden, frech vermeßnen Krieges:
Dann laßt ihn wissen, sagt ihm, Timon sprachs:
Aus Mitleid für den Greis und Jüngling kann ich
Nicht anders, sagt: ich frage nichts danach.
Und treib ers nur! Nichts fragen ihre Messer,
Solang ihr Kehlen habt! Von mir noch dies:
Da ist kein Messerchen im rohen Lager,
Das ich nicht höher stell als in Athen
Die hochschätzbarste Gurgel. So verbleibt
Dem Schutz der segensreichen Götter, wie
Der Dieb dem Schließer!

FLAVIUS
                         Geht, es ist umsonst.

TIMON
Soeben schrieb ich hier mein Epitaph,
Man sieht es morgen. Nun beginnt zu heilen
Mein langes Lebens- und Gesundheitsleid,
Das Nichts bringt alles mir. Geht, lebt nur weiter;
Sei Alcibiades euch Qual, ihr ihm,
Und lange währs!

ERSTER SENATOR
                       Wir sprechen nur vergeblich.

TIMON
Doch lieb ich noch mein Vaterland, und nicht
Erfreut der allgemeine Schiffbruch mich,
Wie das Gerücht es sagt.

ERSTER SENATOR
                          So sprichst du gut.

TIMON
Empfehlt mich meinen teuren Landsgenossen -

ERSTER SENATOR
Dies Wort ziert deinen Mund, indem ers spricht.

ZWEITER SENATOR
Und zieht ins Ohr, dem Triumphator gleich,
Im Jubelschall des Tors.

TIMON
                          Empfehlt mich ihnen
Und sagt, um ihren Kummer zu erleichtern,
Die Furcht vor Feindesschlag, Verlust und Schmerz,
Der Liebe Qual und mannigfaches Weh,
Die der Natur zerbrechlich Fahrzeug trägt
Auf schwankem Lebensweg, will ich sie trösten,
Der Wut des Alcibiades entraffen.

ERSTER SENATOR
Dies dünkt mich gut, er kehrt gewiß zurück.

TIMON
Mir wächst ein Baum, hier nah bei meiner Höhle;
Mein eigner Nutzen treibt mich, ihn zu fällen;
Ich haue bald ihn um. Sagt meinen Freunden,
Sagt ganz Athen, dem Adel wie dem Volk,
Vom Höchsten zum Geringsten: Wems gefalle,
Zu enden seine Not, der möge eilen
Hieher, eh noch mein Baum die Axt gefühlt,
Und sich dran hängen. Bitte, grüßt sie alle!

FLAVIUS
Stört ihn nicht mehr, so findet Ihr ihn stets.

TIMON
Kommt nicht mehr zu mir, sondern sagt Athen,
Timon hat hier sein ewges Haus gebaut
Auf dem bespülten Strand der salzgen Flut,
Das einmal Tags mit ihrem schwellnden Schaum
Die Wogen überfluten; dahin kommt,
Laßt meinen Grabstein Euch Orakel sein. -
Laßt, Lippen, bittre Wort, hört auf mit Schelten!
Des Schlimmen Beßrung sei der Pest vertraut!
Kein Menschenwerk als Gräber, Tod ihr Lohn!
Birg, Sonne, dich! Vollbracht hat Timon schon.
Er geht in seine Höhle ab.

ERSTER SENATOR
Sein zornger Sinn ist fest und unzertrennlich
Von seinem Wesen.

ZWEITER SENATOR
In ihm starb unsre Hoffnung. Kehrt zurück
Und denkt, welch andre Rettung uns noch bleibt
In dieser großen Not.

ERSTER SENATOR
                       Wir müssen eilen.
Sie gehn ab.




ZWEITE [DRITTE] SZENE

[In] Vor der Stadtmauer von Athen


Es treten auf zwei Senatoren und ein Bote.

ERSTER SENATOR
Mit Sorgfalt forschtest du; sind seine Scharen
So zahlreich, wie du sagst?

BOTE
                             Das mindste nannt ich;
Dabei erweist sein Eilen, daß er gleich
Sich zeigen wird.

ZWEITER SENATOR
Kommt Timon nicht, so sind wir sehr gefährdet.

BOTE
Ich traf als Boten einen alten Freund,
Mit dem, obwohl jetzt durch Partein getrennt,
Die alte Lieb ihr vorges Recht bewahrte
Und uns als Freunde sprechen ließ: Er ging
Vom Alcibiades zu Timons Höhle
Und bracht ihm Briefe, die ihn dringend baten,
Mit ihm den Krieg auf Eure Stadt zu führen,
Da seinethalb zum Teil er ihn begann.
Die Senatoren, welche von Timon zurückkommen.

ERSTER SENATOR
Seht, unsre Brüder kommen.

DRITTER SENATOR
Sprecht nicht von Timon, nichts von ihm erwartet! -
Des Feindes Trommel tönt, der große Zug
Erfüllt die Luft mit Staub. Zu den Waffen alle!
Es legt der Feind für unsern Fuß die Falle.
Sie gehn alle ab.




DRITTE [VIERTE] SZENE

Der Wald. Vor Timons Höhle; man sieht einen Grabstein


Ein Soldat tritt auf, durch den Wald kommend, auf der Suche nach Timon.

SOLDAT
Nach der Beschreibung wäre dies der Platz.
Wer da? He, keine Antwort! - Was ist das?
Timon ist tot, er zahlte der Natur. -
Dies setzt' ein Tier! Von Menschen keine Spur.
Ja, tot gewiß; und dies hier ist sein Grab. -
Was auf dem Grabmahl steht, kann ich nicht lesen;
So drück ich in dies Wachs die Zeichen ab.
Der Feldherr ist in Kenntnis jeder Schrift
Ein alter Forscher, obwohl jung an Jahren.
Athen, die stolze Stadt, bedroht er eben,
Ihr Fall ist seiner Ehrsucht höchstes Streben.
Er geht ab.




VIERTE [FÜNFTE] SZENE

Vor den Toren von Athen


Trompeten. Alcibiades tritt auf mit seinem Heer.

ALCIBIADES
Blast dieser feigen, schwelgerischen Stadt
Ins Ohr mein schrecklich Nahn.
Trompeten. Die Senatoren erscheinen auf den Mauern.
Bis jetzt gelang es euch, die Zeit zu widmen
Mit Maß der Willkür; Satzung war allein,
Was gut euch dünkte; ich und andre schliefen
Im Schatten eurer Macht und wanderten,
Kreuzweis die Arm, und seufzten unser Leid
Vergeblich nur. Nun ist die Zeit erwachsen,
Geduckte Kraft, im Träger heimlich stark,
Schreit nun von selbst: Nicht mehr! - In euren Sesseln
Wird jetzt bequem geschmähte Kränkung ruhn,
Und der engbrüstge Übermut wird keuchen
In Furcht und grauser Flucht.

ERSTER SENATOR
                               O edler Jüngling,
Als deine erste Kränkung noch Gedanke,
Eh du Gewalt hattst und wir Grund zu fürchten,
Kam Botschaft dir, mit Balsam deine Wut,
Mit Liebe unsern Undank auszutilgen,
Mehr zahlend als die Schuld.

ZWEITER SENATOR
                              Auch luden wir
Zu unsrer Stadt den umgeschaffnen Timon,
Demütig flehend, liebevoll versprechend.
Nicht alle fehlten, drum verdienen alle
Des Krieges Geißel nicht.

ERSTER SENATOR
                                 Hier diese Mauern,
Sie wurden nicht durch deren Hand gebaut,
Die dich gekränkt, noch ist so groß die Kränkung,
Daß diese Türm und Tempel fallen sollten
Um Schuld der einzelnen.

ZWEITER SENATOR
                          Auch sind sie tot,
Die Ursach waren, daß du schiedst von hier;
Scham über ihren Fehl in Übermaß
Zerbrach ihr Herz. So zieh denn, edler Feldherr,
Mit fliegendem Panier in unsre Stadt;
Laß, durch das Los bestimmt, den Zehnten sterben;
Hungert dein Rachgefühl nach dieser Speise,
Vor der Natur ergraut, nimm du den Zehnten;
Wie durch Geschick des Würfels Flecken fallen,
So falle der Befleckte.

ERSTER SENATOR
                         Alle fehlten nicht;
Nicht billig ists, für die Verstorbnen Rache
An Lebenden zu nehmen; Sünde erbt
Sich nicht wie Land und Gut. Drum, teurer Landsmann,
Führ ein dein Heer, doch laß die Wut da draußen,
Schon deiner Wieg, Athens, verwandten Bluts,
Das deines Zornes Sturm vergießen würde
Mit dem der Schuldigen; nein, wie ein Schäfer
Nah deiner Hürd und sondre das Erkrankte,
Doch nicht erwürge alles!

ZWEITER SENATOR
                                Was du forderst,
Wirst du mit deinem Lächeln eh erzwingen,
Als mit dem Schwert erhaun.

ERSTER SENATOR
                             Setz nur den Fuß
An dies verschanzte Tor, so springt es auf,
Hast du dein mildes Herz vorausgesandt
Als Freundesboten.

ZWEITER SENATOR
                    Wirf den Handschuh her;
Gib jedes andre Unterpfand der Ehre,
Daß du zur Herstellung den Krieg nur nutzest
Und nicht zu unserm Sturz, so nimmt dein Heer
Wohnung in unsrer Stadt, bis wir bewilligt
Dein voll Begehrn.

ALCIBIADES
                    Hier ist mein Handschuh;
Tut auf das unbewehrte Tor, steigt nieder!
Die, welche Timons Feind' und meine sind
Und die Ihr selbst zur Strafe ziehen sollt,
Die einzig fallen; Eure Furcht soll tilgen
Mein Ehrenwort; daß nicht ein Mann verläßt
Sein Standquartier, den Strom auch keiner trübe
Des hergebrachten Rechts in Eurer Stadt;
Geschiehts, so zieh' ihn Eure eigne Satzung
Zur strengsten Rechenschaft.

BEIDE SENATOREN
                              Ein edles Wort!

ALCIBIADES
So steigt herab und haltet das Versprechen!
Die Senatoren steigen herab und öffnen die Tore. Ein Soldat tritt auf.

SOLDAT
Mein edler Feldherr, Timon ist gestorben
Und an des Meeres ödem Strand begraben.
Auf seinem Grabstein fand ich diese Schrift;
Ich prägte sie in Wachs, des sanfte Form
Dir deute, was ich selbst nicht lesen kann.

ALCIBIADES
liest die Grabinschrift.
Hier liegt der traurige Leib, dem trauriger Geist entschwebt;
Forscht meinen Namen nicht; Fluch allem, was da lebt!
Hier lieg ich, Timon; da ich lebt, haßt ich, was Leben hegt;
Geh, fluch von Herzen, aber mach, daß fort dein Fuß dich trägt. -
Wohl drückt dies aus, was du zuletzt gefühlt;
Hast unser menschlich Leid du auch verachtet,
Die Tränenflut, die Tropfen, welche karg
Die Rührung fallen läßt, doch lehrte dich
Dein reicher Witz, Neptunus selbst zu zwingen,
Daß er nun ewig weint gesühnte Fehler
Auf deinem niedern Grab. Gestorben ist
Der edle Timon; künftig mehr von ihm. -
Führt mich in Eure Stadt, und mit dem Schwert
Bring ich den Ölzweig; Krieg erzeuge Frieden,
Und Frieden hemme Krieg; jeder erteile
Dem andern Rat, daß eins das andre heile.
Rührt eure Trommeln!
Alle gehn ab.


 

 

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