Entstehung: |
1592-1594 |
Buchhändlerregister: |
8. November 1623 |
Erste Veröffentlichungen: |
1623 im Ersten Folio |
Erste
Aufführungen |
Aufführungen im frühen
17. Jahrhundert nicht bekannt |
|
Informationen
Die edlen Veroneser
Viele Kritiker haben in dem Stück eine Jugendarbeit
Shakespeares gesehen, obwohl einige (wie so oft) es nicht
als allein von ihm stammend bezeichnen.
Robertson geht so weit, Greene als Hauptverfasser zu nennen;
er schreibt Shakespeare nur eine Überarbeitung zu.
Äußere AnhaItspunkte für die Datierung haben
wir nicht. Es dürfte vor ,,Romeo und Julia" entstanden
sein: Einige Züge des Stückes nehmen dieses Thema
vorweg.
Seine Entstehung wird heute in die Jahre 1592-1594 verlegt.
Der Einfluß des Hofpoeten John Lyly ist in diesem Stück
ebenso zu spüren wie in der ,,Komödie der Irrungen"
und ,,Verlorene Liebesmüh", und die drei Lustspiele
gehören deutlich zu einer Gruppe zusammen.
Lyly war ein Meister des Worts, aber ein Mann, der dem barocken
Stil die Natürlichkeit opferte. Sein Hauptgesetz war
der Parallelismus: in parallelen Linien muß das ganze
Kunstwerk angelegt sein, jede Stelle muß ihr bis ins
kleinste entsprechendes Pendant auf der anderen Seite haben.
Deshalb wird jedes Wort genau abgewogen nach Inhalt und Form,
und das Resultat ist eine geistreich pointierte Sprache, die
freilich auf die Dauer unerträglich wirkt.
Der Wortwitz der Hochstehenden wird bei den Ungebildeten,
den Clowns, zur Wortverdrehung (wiederholte sich in mehreren
Stücken Shakespeares). Nach diesem Schema nun baut Shakespeare
seine Jugendlustspiele.
Die Liebesgeschichte von Julia und dem falschen Proteus stammt
aus einem Schäferlichen Roman des Hofdichters Phillipps
II. von Spanien, Jorge de Montemayor: ,,Die verliebte Diana".
Dort erzählt die unglückliche Felismena, wie ihr
Geliebter Felis sie treulos verlassen habe, als er am Hofe
eine andere vielumworbene Dame kennengelernt; wie sie ihm
dann in Pagenkleidung gefolgt sei und den Zwischenträger
zwischen ihm und Celia, seiner neuen Liebsten, gemacht habe.
Als aber Celia starb, war Felis in wildem Schmerz verschwunden.
Da trifft ihn Felismena einst zufällig mitten im Walde,
wie ihm von drei Rittern hart zugesetzt wird, und befreit
ihn durch die Kunst ihres Bogens. Daß Celia sich in
den verkleideten Pagen verliebt hatte - das Motiv, das später
in ,,Was ihr wollt" auftritt - und daß ihr diese
unglückliche Liebe das Herz gebrochen hatte, ließ
Shakespeare weg, schon weil es den Parallelismus gestört
hätte.
Im übrigen aber hält er sich treu an die Erzählung,
die ihm auch zwei seiner besten Einzelszenen lieferte: der
reizende Auftritt zwischen Julia und ihrer Zofe, wo sich Julia
den Anschein gibt, als wolle sie den von Proteus gesandten
Brief nicht sehen und, als ihre Zofe wiederkommt, es doch
zuwege bringt, ihn zu lesen, ohne sich eine Blöße
zu geben, ist von Montemayor schon geschildert - freilich
nicht mit der Lebendigkeit des Dramatikers.
Und ebenso ist die zweite Szene des vierten Akts, das Ständchen,
das Proteus der SiIvia bringt, und zu dem die verkleidete
Julia von ihrem Wirt geführt wird, schon in dem spanischen
Roman ganz ähnlich erzählt.
Es kann nicht entschieden werden, ob Shakespeare außer
der französischen Übersetzung des Stückes von
N. Collin (1578) noch die englische Übersetzung durch
Bartholomäus Yonge gesehen hat, die obwohl 1582 angefertigt,
erst 1598 im Druck erschienen war. Auch war schon 1584 ein
Schauspiel, das offenbar denselben Stoff behandelte, die ,,Geschichte
von Felix und Philiomena", an EIisabeths Hofe aufgeführt
worden mit einem gemalten Haus und Mauerzinnen als Dekoration,
wie die Rechnungsbücher der Intendanz angeben.
Da das Stück nicht erhalten ist, können wir nicht
sagen, ob es ein Zwischenglied zwischen Montemayor und Shakespeare
gebildet hat. Nach Lylys Regel brauchte dieser für die
zweite Liebhaberin auch einen zweiten Liebhaber. Deshalb verband
er mit der Geschichte vom treulosen Felix und der treuen Felismena
eine zweite vom falschen Freunde, der dem Abwesenden die Geliebte
entwendet. Unter den Stücken, die von den englischen
Komödianten im Anfang des 17. Jahrhunderts in Deutschland
aufgeführt wurden, ist uns in dem Sammeldruck von 1620
eines erhalten, das den Titel führt ,,Tragedia von Julia
und Hyppolita".
Das ist im wesentlichen dieselbe Fabel, wie sie Shakespeare
in den Szenen von Proteus, Valentin und Silvia darstellt:
Romulus, ein römischer Edelmann, muß an den Hof
des Kaisers ziehen und läßt seine Braut Hippolyta
unter dem Schutz seines Freundes Julius zurück. Dieser,
von heftiger Leidenschaft für das Mädchen erfaßt,
weiß sie durch einen falschen Brief dahin zu bringen,
daß sie Romulus für untreu hält und ihm selbst
ihre Hand reicht. Als die Hochzeit eben gefeiert wird, kehrt
Romulus zurück und entlarvt den falschen Freund. Mit
dem Tode aller drei Beteiligten schließt die Tragoedia.
Es ist nicht wahrscheinlich, daß dies etwa eine verkürzte
Bearbeitung der ,,Beiden Veroneser" wäre; denn der
deutsche Dramenschmied hätte sich gewiß nicht die
Räuberszene entgehen lassen.
Wir haben offenbar die - natürlich freie - Übertragung
eines älteren Stücks vor uns, das nur auf diesem
Teil der Fabel aufgebaut war. Ob es mit dem Drama ,,Philippo
and Hewpolyto" etwas zu tun hatte, das nach dem Tagebuch
des Theateragenten Henslowe am 9. Juli 1594 neu einstudiert
aufgeführt wurde und sich als zugkräftiges Kassenstück
erwies, läßt sich nach dem einen gleichen Namen
im Titel nicht sagen. Shakespeare hat jedenfalls für
die Zwecke seiner Komödie die Geschichte dadurch verändert,
daß er - wieder nach Lylys Vorschrift - dem treulosen
Freund einen überschwenglichen entgegenstellt, der am
Schluß so weit geht, dem Freunde sogar seine Braut anzubieten
- für unser Gefühl eine peinliche Entgleisung, nicht
so für das der Renaissance, in deren italienischen Novellen
es mehrmals begegnet.
Dieses Motiv stammt nicht von Shakespeare: In Chaucers Erzählung
von Palamon und Arcitas tritt am Schluß der todwunde
Arcitas die eben erkämpfte Geliebte seinem Rivalen und
einstigen Freunde Palamon ab.
Der Stoff war schon frühzeitig in dramatischer Form
behandelt, Aufführungen sind uns von 1566 und 1594 bezeugt
- diese beiden Stücke aber waren Lustspiele.
Da durfte natürlich Arcitas nicht sterben, sondern es
mußte eine friedliche, fröhliche Lösung gefunden
werden. Hier scheint Shakespeare das Motiv von dem Verzicht
auf die Braut zugunsten des Freundes gesehen ZU haben.
Die beiden Freunde werden jetzt Edelleute von Verona. Sie
führen die ihrem Charakter angepaßten Namen Proteus
und Valentin, der eine nach dem veränderlichen Hirten
Neptuns, der andere nach dem Schutzheiligen treuer Liebe.
Auch Julias römischer Name mag nach der Julietta der
Novelle gebildet sein. Aber wir finden noch mehr und tiefer
greifende Einflüsse. Der treue Liebhaber wird verbannt;
auf einer Strickleiter wollte er zur Geliebten gelangen, um
sie zu entführen; ihr Vater wählt ihr einen anderen
Gatten - Thurio-Paris -; bei der Zelle des Bruder Patricius
wollen sich die Liebenden treffen, auch der Bruder Lorenzo
selbst wird in dem Lustspiel genannt: kurz, die ganze Geschichte
hat erst ihr Kolorit bekommen durch die Novelle von Romeo
und Julietta. Freilich ist es noch nicht die echt italienische
Farbung, die das nur wenig spätere Trauerspiel durchleuchtet.
In der Komödie sieht Verona nicht anders aus als London:
es liegt an einem breiten Fluß mit Ebbe und Flut, und
nach Mailand reist man zu Schiffe. Auch die Briganten, an
deren Spitze sich Valentin stellt, sind den Gesellen des Robin
Hood nachgebildet, der Verkörperung der Räuberromantik
in den englischen Balladen.
Die Charaktere sind noch etwas typisierend wie bei Lyly,
doch fehlt es nicht an Ansätzen zur Individualisierung.
Am schwächsten ist für unser Gefühl der Schluß,
wo der charakterlose Proteus allzu billig wegkommt. Die Sprache
ist öfters etwas affektiert, der Witz hauptsächlich
Wortwitz. Die Träger des Humors sind nach alter Regel
fast ausschließlich die Diener, deren Wortverdrehungen
dem höfischen Geschmack entsprachen.
Hier hat aber Shakespeare ein Meisterstück grotesker
Komik geschaffen in Lanz mit seinem Köter, der den schönen
Namen ,,Grab" oder ,,Sauerapfel" führt.
Die tiefe Zuneigung, die Lanz zu seinem Hunde gefaßt
hat, und für die dieser recht wenig Verständnis
zeigt, ist von überwältigend humoristischer Wirkung.
Shakespeare hat hier gezeigt, wie er auf dem Gebiet der grotesken
Posse alle seine Zeitgenossen weit überragt. Wir haben
in der älteren Zeit nur ein treffliches Beispiel für
das Heranziehen eines Tieres zur Erzielung einer komischen
Wirkung, das ist die alte Farce von ,,Mutter Gurtons Nadel",
wo die Katze Tib auf die Bühne kommt. Aber der Köter
Crab trägt durch sein Äußeres selbst zur Komik
bei und überragt dadurch weit seinen Vorgänger aus
dem Katzengeschlecht.
Das Stück wird in Deutschland selten gespielt. Immerhin
verdiente es den Versuch einer Bühnenbearbeitung, denn
es enthält viele Stellen, die sich dem Besten aus Shakespeares
anderen Komödien anreihen lassen.
|