Entstehung: |
1604 |
Buchhändlerregister: |
18. November 1623 |
Erste Veröffentlichungen: |
1623 im Ersten Folia |
Erste
Aufführungen |
26. Dezember 1604 im Schloß
Whitehall vor dem König |
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Information
Maß für Maß
"Maß für Maß" oder ,,Gleiches
mit Gleichem", wie andere den Titel von Shakespeares
Lustspiel verdeutlicht haben, gehört dem ganzen Ton nach
neben ,,Ende gut, alles gut".
Hier wie dort kann man nur bei den Frauen noch Edelsinn,
Tapferkeit, Selbstlosigkeit finden, nicht aber bei den jungen
Männern, die sich als schwächliche Egoisten oder
gar als moralische Nullen erweisen, wenn die Prüfung
kommt.
Es ist die bittere Stimmung, die den Dichter des ,,Hamlet"
in den ersten Jahren des neuen Säkulums ergriffen hat.
In die verdorbene Welt der hohen Worte und niedrigen Taten
kann nur ein weiser Fürst wieder Ehrlichkeit und Gerechtigkeit
bringen: das war Shakespeares Gedanke beim Regierungsantritt
Jakobs im Jahre 1603.
Der neue König galt ja als ein Herrscher von ungewöhnlicher
Gelehrsamkeit, ein Salomo, der sich durch äußeren
Schein nicht blenden ließ. Liegt es so ferne anzunehmen,
daß Shakespeare, als er den Herzog in seinem Lustspiel
schuf, der abseits vom gewöhnlichen Weg die Herzen seiner
Untertanen erforscht, an König Jakob gedacht habe?
Sicher hat der König selbst diese Gleichung vollzogen,
als das Stück am Tage nach Weihnachten 1604 in seinem
Palast Whitehall in Westminster aufgeführt wurde.
Wie am Schluß des Dramas Gericht über die Schuldigen
abgehalten wird, da trifft der härteste Urteilsspruch
nicht den falschen Richter, sondern den losen Schwätzer
Lucia, der aus reiner Freude am boshaften Klatsch den Charakter
des Fürsten lächerlich und schlecht gemacht hatte:
dafür soll er erst gepeitscht und dann gehängt werden.
Denn nichts ist so verderblich für das öffentliche
Wohl, als wenn das Vertrauen des Volkes zum Herrscher durch
gewissenlose Verdächtigung seines guten und ernsten Strebens
erschüttert wird. Und König Jakob konnte sich mit
Grund darüber beklagen, daß ihm solches widerfahren
war, seit er von Englands Thron Besitz ergriffen hatte. Nur
unter diesem Gesichtspunkt wird der Zorn des Dichters gegen
den leichtsinnigen Witzbold verständlich.
Shakespeare hat auch wieder ein altes Stück als Grundlage
gewählt: George Whetstones ,,Promos und Cassandra".
Aber da es noch aus den siebziger Jahren stammte - CS ist
1578 gedruckt worden -, wo der dramatische Stil sich erst
im Anfang seiner Entwicklung befand und der Knittelvers als
passendstes Metrum des Dramas galt, konnte er doch nicht viel
mehr als das Gerippe beibehalten.
Es umfaßte nicht weniger als zehn Akte, war also viel
zu lang, so daß sich Shakespeare gezwungen sah, den
größten Teil der rein belustigenden Szenen zu streichen.
Das Stück führt uns in die Stadt Julia (Gyula?)
in Ungarn, wo ein längst vergessenes altes Sittengesetz,
das jeden Verführer eines Mädchens mit dem Tode
bedrohte, durch einen übereifrigen Richter namens Promos
mit aller Strenge wieder angewendet wird. Andrugio ist der
Unglückliche, den es zuerst trifft. Seine Schwester Cassandra,
eine Dame von ausgezeichneter Schönheit und Tugend, bittet
bei Promos für sein Leben. Dieser aber wird bei ihren
Worten selbst von heftiger Leidenschaft zu der schönen
Fürsprecherin erfaßt. Er bestellt sie für
den nächsten Tag wieder zu sich und deutet ihr da an,
daß nur ihre Tugend als Preis für des Bruders Leben
gelten solle. Cassandra ist zunächst empört über
diese Zumutung des heuchlerischen Richters, aber durch die
Bitten ihres Bruders, den die Todesangst gepackt hat, läßt
sie sich schließlich doch bewegen, darauf einzugehen.
Promos schwört ihr zu, daß er des Bruders Leben
schonen und sie selbst zu seiner Gemahlin nehmen werde. Aber
als er seinen Zweck erreicht hat, spottet er des Eides: er
läßt der armen Cassandra Andrugios abgeschlagenes
Haupt zusenden. Der mitleidige Kerkermeister schickt ihr aber
den unkenntlich gemachten Kopf eines anderen Verbrechers und
läßt Andrugio heimlich frei.
Cassandra wird vom Selbstmord nur durch den Gedanken der
Rache an dem verräterischen Richter abgehalten.
Sie ruft das Gericht des Königs an, der Promos dazu
verurteilt, Cassandra zu heiraten, dann aber sein Haupt zu
verlieren. Als Gattin des Promos bittet nun Cassandra selbst
um sein Leben. Die Bitte wird ihr jedoch erst gewährt,
als der totgeglaubte Andrugio sich zu erkennen gibt. Daneben
laufen eine große Anzahl Unterhaltungsszenen einher,
in denen Dirnen, Kuppler und anderes Gesindel ihr Wesen treiben.
Als Whetstone, der seinerseits aus Giraldi Cintios ,,Hecatommiti"
schöpfte, 1581 selbst eine Novellensammlung veröffentlichte,
legte er in diesem ,,Heptameron" nach dem Muster der
Königin von Navarra die Geschichte von Promos und Cassandra
einer Madame Isabella in den Mund.
Darauf, daß Shakespeare auch diese Version kannte,
scheint der Name Isabella hinzudeuten, den er statt Cassandra
für seine Heldin wählte. Shakespeare greift auf
seine eigenen früheren Dramen zurück und entnimmt
ihnen packende Züge, um der Fabel mehr Leben zu verleihen.
Aus dem kurz vorher entstandenen Lustspiel :.Ende gut, alles
gut" nahm er das Motiv von der untergeschobenen Braut,
die der verblendete Mann im Dunkel der Nacht für das
von ihm begehrte Weib hält; aus dem etwas älteren
,,Viel Lärm um nichts" stammt der kluge Mönch,
der durch ein täuschendes Spiel mit Leben und Tod schließlich
alles zum Guten wendet. Nicht die tugendhafte Schwester des
Verurteilten, sondern eine verlassene Geliebte des Richters
gibt sich diesem unter dem Schutze der Nacht hin. Der Charakter
der Isabella wird dadurch gehoben: sie bleibt fest bis zu
Ende; die Ehre steht ihr höher als ihr Leben, höher
auch als das Leben ihres Bruders; aber sie rettet ihn gleichwohl.
So ist sie eine von Shakespeares schönsten Frauengestalten
geworden.
Die andere bedeutsame Zutat Shakespeares besteht in der Verkleidung
des Herzogs als Mönch.
Bei Whetstone wie bei Cintio tritt der Herrscher erst am
Schluß als oberster Richter auf. Dadurch, daß
Shakespeares Herzog wie Harun-al-Raschid überall unerkannt
unter das Volk tritt, ist es ihm möglich, nicht nur als
unbeobachteter Zuschauer alle Vorgänge zu verfolgen,
sondem auch selbst die Fäden des Stücks in die Hand
zu nehmen.
Er braucht am Schluß nicht erst das Recht zu finden,
sondern nur einen möglichst tiefen Eindruck auf die Gemüter
zu machen.
Leider hat sich Shakespeare in diesem Bestreben verleiten
lassen, einen Zug aus dem alten Stück beizubehalten,
der jetzt ganz überflüssig geworden war. Bei Whetstone
nimmt der Kerkermeister, um dem Befehl des Promos zu genügen,
den entstellten Kopf eines anderen Verurteilten und schickt
ihn der Cassandra zu; bei Shakespeare wird die arme Isabella
nicht vorn heuchlerischen Richter, sondern vom guten Herzog
selbst mit der Nachricht vom Tode ihres Bruders gequält,
nur damit ein recht packender Schluß zustande komme.
Aber noch ein anderes schwereres Opfer ist diesem Zweck gebracht:
Isabella, die ihre Frauenehre über alles stellt, sie
selbst muß sich vor allem Volk als entehrt bezeichnen,
um den Effekt der Gerichtsszene zu steigern.
Der Charakter Angelos, des Richters, der vom Herzog zu seinem
Vertreter eingesetzt wird, weil er der tugendhafteste sei,
ist von Shakespeare am feinsten ausgearbeitet worden. Angelo
ist kein Bösewicht von Anfang an: er ist nur ein buchstaben-gerechter
Pedant, der die Menschen nach Paragraphen beurteilt, ein Hüter
des Gesetzes, aber nicht der Billigkeit.
Er ist tugendhaft, soweit die Versuchung nicht an ihn
herangetreten ist.
Nicht nur daß er der Versuchung unterliegt, ihn zum
Verbrecher werden lässt, sondern daß er auch dann
noch feige die Tugend heuchelt und dabei vor keinem niedrigen
Mittel zurückschreckt.
Auch Claudio, der Bruder der Isabella, ist kein starker Charakter,
bei Shakespeare sowenig wie bei Whetstone. Alle männliche
Kraft scheint auf die Schwester übergegangen zu sein.
Das Vergehen Claudios hat unser Dichter bedeutend gemildert:
Er ist mit seiner Julia regelrecht verlobt, und bloß
aus äußeren Gründen haben sie des Priesters
Segen noch nicht erhalten.
Nur einem kalten Buchstabenrichter kann es einfallen, daraus
ein Verbrechen zu machen.
Dachte Shakespeare vielleicht daran, daß vor kurzer
Zeit dasselbe Vergehen seinen Patron, den Grafen von Southampton,
ins Gefängnis gebracht hatte?
Dieser war in eine Hofdame der Königin, Elisabeth Vernon,
verliebt und mußte im August 1598 hastig und heimlich
die Heirat mit ihr vollziehen, weil ihr Ruf gefährdet
war. Dadurch verlor er nicht nur für immer die Gunst
der eifersüchtigen Königin Elisabeth, sondern wurde
auch mitsamt seiner jungen Gattin in London eingekerkert.
Natürlich dürfen wir aber weder in Angelo ein Bild
der alten Königin suchen, noch in Claudio eines von Southampton.
In Claudios Charakter ist ja gerade der Zug mit Meisterschaft
hervorgehoben, wie er zuerst mutig das Leben der Ehre unterordnet,
aber dann, als das Todesgespenst sich seiner Vorstellung deutlich
zeigt, schwächlich um sein Leben fleht, auch wenn es
der Schwester Ehre kosten soll.
Aus ,,Viel Lärm um nichts" hat der Dichter den
tölpelhaften Büttel genommen, der aber hier weder
die Wichtigkeit noch den unfreiwilligen Witz jener Nachtwächter
Messinas aufweist. Die anderen komischen Figuren entstammen
meist dem Stück von Whetstone, der ihnen ja viel mehr
Platz einräumte als Shakespeare.
Eine Dirne Lamia mit ihrem Diener Rollo hat sich in der Kupplerin
Frau Oberley und ihrem Bierzapfer Pompejus Pumphose, dem Clown
des Stückes, erhalten. Der törichte reiche Jüngling,
der diesmal der bürgerlichen Sphäre angehört,
erinnert natürlich an Junker Christoph von Bleichenwang.
Am besten ist der Mörder skizziert, den hinzurichten
nie die rechte Zeit ist, weil er, immer betrunken, sich den
Teufel um das Jenseits schert. Dazu kommt dann noch der zynische
Vertreter der leichtsinnigen Jugend, Lucia, dessen Witz alles
gleichmäßig verspottet.
Viel bittere Satire tritt in diesen Figuren zutage. Wie in
,,Ende gut, alles gut" ist auch hier die Schlußszene
mit ihrer summarischen Rechtsprechung unbefriedigend.
Das Stück wird auf unseren Bühnen häufiger
gespielt.
Die früheste Vertonung des Liedes ,,Take, oh take those
lips away" (:,Bleibt, o bleibt ihr Lippen ferne",
IV, 4) stammt von Dr. .John Wilson. Sie erschien 1652 in einem
Buch ,,Select Musicall Ayres and Dialogues for One or Two
Voyces to sing to the Theorbo, Lute or Basse-Viol".
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