Entstehung: |
1590, 1591, 1592
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Buchhändlerregister: |
1590/92
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Erste Veröffentlichungen: |
1. Teil 1623 im Ersten Folio
2. Teil 1594
1. Quarto - 1600
2. Quarto - 1619
3. Quarto - 1623 im Ersten Folio
3. Teil
1. Quarto - 1600
2. Quarto - 1619
3. Quarto - 1623 im Ersten Folio
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Erste
Aufführungen |
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Der
Hauptcharakter: |
KÖNIG HEINRICH VI. (*1421, -¦-1471)
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Informationen
Heinrich VI
Die drei Dramen über Heinrichs VI. Regierung bilden
(zusammen mit ,,Richard III.") ein großes Schauspiel
über die Geschichte der Rosenkriege, dessen einzelne
Teile eng miteinander verknüpft sind.
Es scheint, daß der ,,Erste Teil zu Heinrich VI."
im Anfang noch als selbständig abgeschlossenes Stück
gedacht war mit Talbot als Helden. Doch sind dann auch hier
einzelne Szenen hineingearbeitet, die es mit den Dramen über
die Rosenkriege verketten.
Der Stil von ,,Heinrich VI." weist darauf hin, daß
das Stück eine dramatische Schülerarbeit Shakespeares
ist. Daher wird das Datum des ,,Ersten Teils" möglichst
früh anzusetzen sein. Aus einem Pamphlet des Satirikers
Nash vom Frühjahr oder Sommer 1592 wissen wir, daß
damals alle Welt ins Theater strömte, um den großen
Talbot siegen und sterben zu sehen.
Und das Tagebuch des Theateragenten Henslowe verzeichnet
sechzehn Aufführungen eines Stückes ,,Heinrich VI."
durch Shakespeares Gesellschaft im Rosentheater vom März
1592 an. Aber zu dieser Zeit muß auch schon der zweite
und dritte Teil des Dramas existiert haben, denn der im Mai
verstorbene Dramatiker Greene hatte in seiner Todesbeichte
,,Um einen Groschen Witz erkauft mit einer Million Reue"
von Shakespeares ,,Tigerherz, in Mimenhaut gesteckt",
gesprochen: Eine Veränderung des Verses ,,O Tigerherz,
in Weiberhaut gesteckt", aus dem ,,Dritten Teil Heinrichs
VI." (Akt 1, Szene 4). Viele setzen den ersten Teil etwa
1590, den zweiten und dritten Teil 1591 und Anfang 1592.
Aber es besteht noch eine weitere Schwierigkeit. Während
der erste Teil in der Folioausgabe von 1623 zuerst gedruckt
wurde, existieren von den beiden anderen Teilen frühere
Ausgaben unter dem Titel ,,Der Streit zwischen den zwei berühmten
Häusern von York und Lancaster", in zwei Abteilungen
1594 und 1595 gedruckt. (Der erste Teil des Streites zwischen
den berühmten Häusern von York und Lancaster, mit
dem Tode des guten Herzogs Humphrey: und der Verbannung und
dem Tode des Herzogs von Suffolk, und dem tragischen Ende
des stolzen Kardinals von Winchester, mit der berüchtigten
Rebellion des Jack Cade: und des Herzogs von York erstem Anspruch
auf die Krone. 1594.
Die wahre Tragödie von Richard Herzog von York und dem
Tode des guten Königs Heinrichs VI., mit dem ganzen Streit
zwischen den beiden Häusern Lancaster und York, wie sie
oftmals gespielt wurde von des sehr Ehrenwerten Grafen von
Pembroke Dienern. 1595.)
Eher der Text dieser ,,Streit"-Dramen weicht bedeutend
ab von dem ,,Heinrichs VI." in der Folioausgabe, so daß
von gewichtiger Seite schon behauptet wurde, es seien gänzlich
verschiedene Stücke. Das ist entschieden zu weit gegangen.
Wir haben es bei den ,,Streit"-Dramen mit gekürzten
Bühnenausgaben zu tun, die dann wieder schlecht aufgeschrieben
und schlecht gedruckt wurden. An einzelnen Stellen repräsentieren
sie wohl auch die ältere Fassung, die dann von Shakespeare
selbst später verändert worden ist.
Es fällt auch auf, daß das letzte ,,Streit"-Drama
nach dem Titelblatt nicht von Shakespeares Truppe, sondern
von der des Grafen Pembroke gespielt worden ist.
Doch waren 1593 die Theatertruppen alle durch die lange Pestzeit
finanziell sehr geschwächt, so daß manche Unregelmäßigkeiten
vorkamen.
Es wäre nicht ausgeschlossen, daß Shakespeares
Truppe eines oder das andere ihrer Stücke an die Pembroke-Schauspieler
verkauft und, als diese bald darauf ganz verkrachten, wieder
zurückgekauft hätte. So ist auch Shakespeares erste
Tragödie ,,Titus Andronicus" nach dem Titelblatt
außer von seiner eigenen Truppe noch von der des Grafen
Pembroke und der des Grafen Sussex gespielt worden: Sie ist
also durch drei Hände gegangen. Der durch die wunderbare
Vernichtung der spanischen Armada auf das höchste gestiegene
Nationalstolz veranlaßte einige Dramatiker, ihre Helden
in der Geschichte des englischen Volkes zu suchen.
Shakespeare greift die Figur des tapferen Talbot heraus,
um ihn Zum Mittelpunkt eines blutigen Dramas nach Marlowescher
Manier zu machen. Bei Holinshed las er die Geschichte der
Franzosenkriege unter Heinrich VI. Er vermengte die Einzelheiten
und verschob die Zeitfolge. Um Talbot und England möglichst
zu heben, wird das Bild seiner Gegner mit jugendlichem Chauvinismus
verzerrt. Der Erbfeind kämpft nicht ehrlich, sonst hätte
er nie den großen Talbot besiegen können. Die Gestalt
der Jungfrau von Orleans hatte schon die Überlieferung
der englischen Chronisten verunglimpft. Um ihre Verbrennung
zu rechtfertigen, erklärten sie diese nicht nur für
schamlos, weil sie männliche Kleidung angelegt, sondern
auch für eine Hexe, die mit dem Teufel in Verbindung
gestanden habe. Shakespeare macht sie zur Dirne, die sich
allen Heerführern der Franzosen hingegeben hat, und läßt
sie im Angesicht des Todes noch ihren Vater mit rohen Worten
verleugnen.
Bei Holinshed stand nur - eine Lüge der Feinde -, daß
sie, um ihr Lehen zu retten, sich für schwanger erklärt
habe, daß aber die Unrichtigkeit dieser Angabe erwiesen
wurde. Shakespeare hatte sich noch nicht das humane Verständnis
für jede Art Menschenseele erworben, das ihn später
auszeichnet. Talbot ist aufgefaßt wie ein Sagenheld.
Eine rein novellistisehe Episode hat der Dichter frei eingefügt,
um seine Unbesiegbarkeit darzutun. Die Gräfin von Huvergne
will den tapferen Feind durch List fangen und lädt ihn
auf ihr Schloß ein. Als sie ihn aber dort zum Gefangenen
erklärt, stößt Talbot in sein Horn wie der
Oberon der Sage, worauf seine Mannen das Schloß stürmen
und ihn befreien. - Dagegen ist ein anderer romanhafter Zug,
die rührende Sorge des alten Helden für das Leben
seines Sohnes und ihr gemeinsamer Tod schon bei Holinshed
erzählt. Talbot geht zugrunde durch die Uneinigkeit der
Engländer im Innern des Reichs, die verhindert, daß
ihm rechtzeitig Hilfe zukommt.
Daher gehören auch die inneren Streitigkeiten zum Thema
des Stückes. Heinrichs V. Bruder, der volkstümliche
gute Herzog Humphrey von Gloucester, und sein Oheim, der stolze,
herrschsüchtige Bischof Heinrich Beaufort von Winchester,
leben in bitterer Fehde, die weder am Sarge des Heldenkönigs
noch vor dem Throne seines Nachfolgers Heinrichs VI. ruhen
will. Und daneben läßt die Rivalität zwischen
dem Grafen Somerset und Richard, dem neuen Herzog von York,
keinen kräftigen Schutz des Staatswohles aufkommen. Die
Absetzung Richards II. und die Usurpation des englischen Thrones
durch das Haus Lancaster hat den Glauben an das Recht erschüttert,
der Ausbruch des Bürgerkrieges steht vor der Tür.
Der Streit zwischen den beiden Rosen, der roten von Lancaster
und der weißen von York, hängt somit in seinen
Anfängen eng zusammen mit Talbots tragischem Fall. Er
hat sogar durch den Reichtum der Charaktere und der Geschichte
noch mehr dramatisches Interesse, und wir dürfen annehmen,
daß Shakespeare bald nach der Ausarbeitung der Talbot-Tragödie
den Plan faßte, die ganze Geschichte der Rosenkriege
bis zum Tode Richards 111. auf die Bühne zu bringen.
Es wurde nun die Werbung Suffolks um Margareta in das fertige
Stück eingeflickt und dieses dadurch zum ersten Teil
,,Heinrichs VI." gemacht. Inzwischen war aber auch der
Führer der jungen Dramatiker, Marlowe, nicht stehengeblieben.
Auch er wählte sich ein Thema aus Englands Geschichte
und zeigte, daß ihm auch die Fähigkeit gegeben
war, wirkliche Menschen zu zeichnen. Sein schon mehr realistischer
,,Eduard II.", nicht mehr der hochpathetische ,,Tamerlan"
allein, gibt den Ton an in der Zeit, in der der zweite und
dritte Teil ,,Heinrichs VI." entstanden.
Das Verhältnis der Königin Margareta, die vor ihrem
Gatten keine Achtung empfinden kann, zu Suffolk, dem mächtigen
Lord, ist ganz parallel dem von Eduards 11. Gemahlin Isabella
zum stolzen Lord Mortimer. Die prächtige Gestalt des
guten Herzogs Humphrey oder die lebendigen Pöbelszenen
beim Aufstand des Jack Cade von 1450 zeigten aber, wie frei
sich Shakespeare in diesem Stil bewegte.
Der dritte Teil steht schon ganz unter dem Schatten der düsteren
Gestalt des buckligen jungen Ebers, Richards von Gloucester,
des späteren Richard 111. Ihm gegenüber kämpft
die alte Löwin Margareta für das Recht ihres Sohnes,
der ihre Tapferkeit, nicht des Vaters mönchischen Sinn
geerbt hat. Heinrich VI., der milde, gute Schwächling,
dessen Mangel an Herrschergaben all die furchtbaren Greuel
geschehen ließ, steht wie ein Zuschauer neben dem Zusammensturz
seines Hauses; er sieht schließlich selbst ein, daß
er immer nur das Falsche tut, sooft er Hand anlegen will.
Auch die anderen Gestalten, der ehrgeizige Herzog von York,
der stolze ,,Königsmacher" Warwiek, der gegen Männer
tapfere, gegen Weiher schwache Eduard IV., der wilde Clifford
und der wankelmütige Clarence, sie alle sind als scharfe
Individualitäten gezeichnet. Und in diesem Sumpf von
Herrschsucht, Mord und Eidbruch wächst dann das Ungeheuer
heran, das schließlich allein den Kampf wider alle aufnimmt:
Richard III Shakespeare hält sich im allgemeinen, abgesehen
von einigen bedeutungslosen Verwechslungen und Zusammenziehungen,
sehr genau an sein Geschichtsbuch, Holinsheds Chronik. Er
trachtete nach möglichster Vollständigkeit seines
Bildes und suchte sich deshalb auch eines oder das andere
der Bücher zu verschaffen, auf die der sorgsam sammelnde
Holinshed verwies, wie die ausführlichere und lebendigere
Chronik von Edmund Hall oder das Buch der protestantischen
Märtyrer von Foxe.
Die historische Erinnerung hatte sich in den durch die Leidenschaft
der Bürgerkriege erhitzten Köpfen oft bis zur Unkenntlichkeit
verschoben, und von vielen Zügen, die Shakespeares Figuren
bei den Chronisten erhalten hatten, weiß die Geschichte
nichts. Figuren wie der Graf von Gloucester oder der Bischof
von Winchester erinnern an Tamerlans Ubersteigerungen und
Bombast.
Im einzelnen machen auch andere ältere Geschichtsdramen
ihren Einfluß geltend, wie die ,,Wahre Tragödie
von Richard III." oder Peeles ,,Eduard I.", in dem
der Streit zwischen der stolzen fremden Königin und der
Gattin des Protektors ein Vorbild fand. Obwohl ,,Heinrich
VI." in der Gesamtausgabe von Shakespeares Schauspielen
von 1623 gedruckt ist, hat man seine Urheberschaft doch sehr
viel angezweifelt.
Besonders ist dies in England ganz allgemein der Fall. In
der Liste englischer Schriftsteller, die Francis Meres 1598
herausgab, fehlt unter Shakespeares Stücken ,,Heinrich
VI.". Aber Meres macht keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Der Hauptgrund ist auch nicht das Fehlen in dieser Liste,
sondern ein stilistischer. Beim aufmerksamen Lesen fällt
uns - sogar in der deutschen Übersetzung - ein Unterschied
gegen Shakespeares spätere Dramen auf.
Das ist - namentlich im ,,Ersten Teil Heinrichs VI."
- nicht Shakespeares eigener Stil, das sind nicht die Verse,
wie wir sie aus ,,Coriolan" oder ,,Lear" oder selbst
aus ,,Heinrich IV." und ,,Heinrich V." kennen, sondern
das ist deutlich das dramatische Ziel und die dramatische
Ausdrucks-weise der älteren Generation, der Marlowe und
Greene, Peele und Kyd. Aber heißt es nicht etwas vorschnell
Konsequenzen ziehen, wenn Kritiker nun einfach hergehen und
Shakespeares ,,Heinrich VI." unter diese verschiedenen
Autoren aufteilen?
Der junge Shakespeare war ja zunächst Schauspieler;
voll Begeisterung für die großen Tragiker, deren
Werke er zu spielen hatte, versuchte er, es ihnen womöglich
gleichzutun. Ist es nicht natürlich, daß er in
ihrem Geiste zu dichten begann, daß er den Ton der Blankverse
genau nachzuahmen trachtete? Noch kann er sich doch keinen
eigenen Stil ausgebildet haben, er ringt mit den fremden Gedanken
und Ausdrücken und ringt sie langsam nieder, einen nach
dem anderen.
Der fremde Stil ist daher unmöglich ein Argument gegen
die Urheberschaft des jungen von Berufs wegen reproduzierenden
Shakespeare. Am stärksten ist die Nachahmung fremder
Ausdrucksweise im ersten Teil der Trilogie, aber auch im dritten
ist sie sehr auffallend, und sogar ,,Richard 111." ist
davon durchaus nicht frei. Für uns muß das Zeugnis
von Shakespeares Freunden und Schauspielerkollegen, die die
Gesamtausgabe seiner Dramen zusammenstellten, so lange maßgebend
für seine Urheberschaft sein, als nicht ein anderes,
ebenso klares äußeres Zeugnis dagegen vorgebracht
werden kann.
Auf der Bühne ist heute das Talbot-Drama nicht mehr
möglich: es tut Shakespeares Größe durchaus
keinen Abbruch, wenn man, im Vergleich mit der reichen Fülle
seiner für die Ewigkeit geschaffenen Meisterwerke, seine
ersten Versuche für die Lernenden zurückhält,
für die, die in sein Wesen einen tieferen Einblick gewinnen
wollen. Die naiv genießende Menge wird man nicht damit
fesseln.
Dagegen läßt sich der Reichtum an dramatischen
Einzelmomenten in den eigentlichen Rosenkrieg-Dramen sehr
wohl wirksam darstellen, wenn man von einigen etwas fremdartigen
Stellen absieht, wie z. B. den Szenen, wo König Heinrich
VI., auf einem Maulwurfshügel sitzend, den Bürgerkrieg
beklagt, und ein Vater, der seinen Sohn erschlagen, und ein
Sohn, der seinen Vater erschlagen, als grausige Illustrationen
dazu auftreten - ein Stück lyrischer Abstraktion inmitten
des dramatischen Lebens, wie es das ältere Drama geliebt
hatte.
Derartiges, zusammen mit der oft überschwenglichen Rhetorik
ist bezeichnend für Shakespeares Jugendstil.
"Heinrich V." und die drei Teile ,,Heinrichs VI."
bildeten den 7. und 8. Band von Schlegels Übersetzung,
die beide 1801 erschienen.
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