Entstehung: |
1597-1601 |
Buchhändlerregister: |
8. November 1623 |
Erste Veröffentlichungen: |
1623 im Ersten Folia |
Erste
Aufführungen |
1612-1613 als eines der acht Shakespeare-Stücke,
die in Schloß Whitehall anläßlich der
Hochzeit der Prinzessin Elisabeth (Tochter König
Jacobs) mit dem Kurfürsten Friedrich von der Pfalz
aufgeführt wurden. |
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Informationen
Julius Caesar
Mit "Heinrich V." hatte Shakespeare die Stoffe
aus der englischen Geschichte erschöpft, die ihn zunächst
angezogen hatten. Jetzt wandte er sich einer ganz anderen
Zeit und Welt zu, deren tragischer Gehalt aber allgemein anerkannt
war: dem alten Rom. Schon während der Abfassung ,,Heinrichs
V." scheint er den Plan einer Cäsar-Tragödie
gefaßt zu haben, und verschiedene Anspielungen deuten
darauf hin, wie ihm damals schon der neue Stoff im Kopf herumging.
Ein Drama über Cäsar und Pompejus war im November
15944 von einer anderen Londoner Truppe, der des Admirals,
aufgeführt worden.
Als Rachetragödie schloß es wohl mit Cäsars
Ermordung unter dem Standbild des Pompejus. Schon in Plutarchs
Biographie Cäsars ist auf das Dramatische dieses Umstands
hingewiesen: ,,Es hatte den Anschein, als wenn Pompejus selbst
über die Rache an seinem Feinde waltete, der jetzt, zu
seinen Füßen hingestreckt, an den vielen empfangenen
Wunden mit dem Tode rang."
Was lag näher für einen tragischen Schüler
Senecas, als diese Bildsäule plötzlich in den Geist
des toten Rivalen zu verwandeln, der jetzt triumphierte? Sicherlich
hat sich der anonyme Verfasser von "Cäsar und Pompejus"
diesen packenden Theatereffekt nicht entgehen lassen.
Die Tragödie, von der uns leider nichts außer
dem Titel erhalten ist, mag Shakespeares Interesse für
die Gestalt Cäsars neu belebt haben.
Vielleicht stammt ja doch schon aus diesem Stück die
Auffassung des Brutus, die Shakespeare im zweiten und dritten
Teil ,,Heinrichs VI." (1592) ausspricht, daß er
ein Bastard und verräterischer Mörder gewesen sei
(2. Heinr. VI., 4, 1, 142, und 3. Heinr. VI., 5, 5,53). Es
ist möglich, daß das alte Drama, dem es ja nur
auf Cäsar, nicht auf Brutus ankam, das Tragische betonte,
daß der Diktator von der Hand dessen fiel, den er für
seinen eigenen natürlichen Sohn hielt, und das in dem
- nicht von Plutarch, sondern von Dio Cassius überlieferten
- Ausruf ausklang: ,,Auch du, mein Sohn Brutus!" Etwa
fünf Jahre später (1599) schenkte Shakespeare seiner
Bühne das Drama, das die Folgen von Cäsars Ermordung
zum Gegenstand hat. Der Basler Arzt Simon Platter sah nämlich,
wie er uns in seinem Tagebuch berichtet, am 21. September
1599 in einem "streuwinen Dachhaus" auf dem südlichen
Themse-Ufer "die Tragedy vom ersten Keyser Julio Caesare
...gar artlich agieren".
Es ist wahrscheinlich, daß sich dies auf das neuerrichtete
Globe-Theater mit seinem Strohdach und auf Shakespeares Stück
bezieht. Dann wäre ,,Julius Cäsar" unmittelbar
nach ,,Heinrich V.", 1599, entstanden. Den Stoff für
sein Drama fand Shakespeare in den von Thomas North aus dem
Französischen übersetzten Lebensbeschreibungen des
Plutarch (1579), und zwar zunächst in der des Marcus
Junius Brutus. Hier bot ihm der griechische Philosoph und
Biograph, dem es ja darauf ankam, den Charakter des Freiheitshelden
recht klar herauszuarbeiten, ein wohldisponiertes, durch kleinere
Züge belebtes Material, das fast nur dialogisiert zu
werden brauchte, um zur Tragödie zu werden: zur Tragödie
von Marcus Brutus. Zur Ergänzung nur im Detail zog Shakespeare
auch die entsprechenden Partien aus den Lebensbeschreibungen
von Cäsar und Antonius heran und fügte einzelnes
daraus dem festen Gerippe ein, das er sich nach der Brutus-Biographie
gemacht hatte. Hier ließ er natürlich aus Gründen
der dramatischen Ökonomie die einleitenden Abschnitte,
die sich mit der Jugend des Brutus beschäftigen, weg
und begann erst bei den Vorbereitungen zu Cäsars Krönung.
V
on da an aber folgt er der Biographie des Brutus und läßt
nur weniges unbenutzt. Das Verhältnis von Brutus zu Cäsar
vereinfacht Shakespeare. Nach Plutarch war die offenkundige
Vorliebe Cäsars für den ernsten Jüngling, den
Sohn seiner Geliebten, zur Zeit der Verschwörung durchaus
gewichen, und er mißtraute dem Marcus Brutus ebenso
wie dem Cassius. Der Ausspruch, daß diese hageren, düsteren
Leute gefährlich seien, bezieht sich bei Plutarch nicht
nur auf Cassius, sondern auch auf Brutus. Dagegen heißt
es von einem anderen Brutus, Decius mit Vornamen, Cäsar
habe ihm so großes Vertrauen geschenkt, daß er
ihn in seinem Testamente zu seinem nächsten Erben bestimmte.
Shakespeare, der sich trotz der engen Anlehnung an seinen
Gewährsmann seine Selbständigkeit überall zu
wahren weiß, zeigt uns in seinem Brutus den Konflikt
zwischen der Verehrung und Dankbarkeit, die er für Cäsar
hegt, und der Vaterlandsliebe, die ihn mehr als sein Leben
opfern heißt für die Freiheit seines Volkes. Er
ist der Idealist, der das Leben und die Menschen nur gleichsam
aus Büchern kennt, der seine eigene strenge Rechtlichkeit
ohne weiteres auch bei den anderen voraussetzt und lieber
alles zugrunde gehen läßt, als daß er bei
seinen Freunden einen Fehler duldet.
Brutus ist der Held des Dramas, das den Namen Julius Cäsars
führt. Das geht schon aus dem Verhältnis von Shakespeares
Stück zu seiner Quelle hervor: nicht die Biographie Cäsars,
auch nicht in ihrem letzten Teile - dient der Tragödie
zum Untergrund, nach dem ihr Grundriß eingerichtet ist,
sondern die des Brutus. Es ist nur ein gezwungener Rettungsversuch
des Titels, wenn man sagt, daß ja wohl Cäsar selbst
nach der ersten Szene des dritten Akts nicht mehr vorhanden
sei, daß aber sein Geist auch fernerhin das Drama beherrsche.
Dieser Geist führt ja keine Sonderexistenz, niemand sieht
ihn als Brutus, und nur weil er uns als Schicksal des Brutus
entgegen tritt, interessiert er uns. Dieses unveränderliche
Schicksal aber, der "böse Engel" des Brutus,
kann nicht der Held einer Tragödie werden. Und doch ist
der weltgebietende Diktator eine zu gewaltige Figur, als daß
er sich zu einer Nebenrolle herabdrücken ließe.
Shakespeare hebt zwar das Menschliche in ihm möglichst
heraus: die Verschworenen müssen sich alle kleinen Schwächen
des großen Mannes ins Gedächtnis rufen, damit sie
den Mut zum Vorgehen gegen diesen Heros nicht verlieren.
Zu den Zügen, die er aus Plutarch übernahm, der
fallenden Sucht und dem Fieber in Spanien, fügt der Dramatiker
im Munde des Cassius noch die Erzählung von dem Wettschwimmen
hinzu, bei dem schließlich Cassius den ertrinkenden
Cäsar rettet, wie Kleitos den Alexander. Außerdem
aber macht Shakespeare seinen Cäsar schwerhörig
- das eine Ohr ist taub. Woher ihm dieser originelle Einfall
kam, ist nicht bekannt. Jedenfalls wirkt die Figur dadurch
viel menschlicher, verwundbarer. Aber daneben lebt in Cäsar
noch der alte Geist des Welteroberers, bei Shakespeare mehr
noch als bei Plutarch. Und die stolzen Worte sind kein leeres
Prahlen "gar wohl weiß die Gefahr, Cäsar sei
noch gefährlicher als sie. Wir sind zwei Leu'n, an einem
Tag geworfen, Und ich der ältre und der schrecklichste."
Es ist deshalb wohl verständlich, daß Shakespeare
der Sitte seiner königsfrommen Zeit gemäß
das Geschichtsdrama nach dem Herrscher nannte, nicht nach
dem Revolutionshelden. In Plutarchs Darstellung wird Cäsar
von "Argwohn und Besorgnis" ergriffen, angesichts
der furchtbaren Vorzeichen in der Nacht vor seinem Tode, und
beschließt deshalb, nicht in den Senat zu gehen. Shakespeares
Cäsar aber kennt keine Spur von Furcht: nur weil Calpurnia
ihn auf ihren Knien bittet, will er zu Hause bleiben. Da darf
man doch nicht sagen, wie es meistens geschieht, daß
Shakespeare den Imperator kleinlich aufgefaßt habe.
Gerade die Betonung der körperlichen Gebrechen des alten
Löwen läßt seine gewaltige Seelenkraft noch
mehr hervortreten. Der scharfblickende, praktische Cassius
bildet einen grellen Gegensatz zu seinem früheren Rivalen
und nunmehrigen Freunde, dem schwärmerischen Idealisten
Brutus. Auch in der Schilderung dieses Charakters folgt Shakespeare
genau seinem klassischen Führer.
Und dasselbe kann man von der Gestalt des Antonius sagen.
Es ist durchaus nicht der soldatische Antonius, der uns in
Shakespeares späterem Drama von Antonius und Kleopatra
entgegentritt. Dort hat sich der Dramatiker nach Plutarchs
Biographie des Antonius gerichtet, hier nach der des Brutus.
In dieser aber erscheint Antonius als des Cäsar ergebener
Freund, dabei ehrgeizig, schlau, "ein schlechter Mensch
und der Tyrannei geneigt" und ein äußerst
gewandter Redner". Nach dem Kampf von Pharsalus zeigt
er sich großmütig gegen Lucilius, den treuesten
Freund des Brutus. Das ist etwa dasselbe Bild, das wir in
unserem Drama erhalten.
Die berühmte Leichenrede, ein Meisterstück demagogischer
Rhetorik, ist von Shakespeare selbständig ausgearbeitet:
Plutarch nimmt nur Notiz von der Tatsache und ihrer Wirkung.
Auch Portia ist ungefähr ebenso bei Plutarch vorgezeichnet:
nur tritt dort das Männliche im Wesen dieser echten Tochter
Catos mehr hervor. Shakespeare aber hat Ende der neunziger
Jahre noch nicht die harten, starken Frauen seiner späteren
Dramen kennengelernt und macht sie deshalb zur liebenswürdigen,
besorgten Gattin. Darüber, daß Portia sich selbst
eine tiefe Wunde am Schenkel beigebracht hat, um ihre Seelenstärke
zu beweisen, eine Wunde, an der sie lange krank lag, geht
Shakespeare flüchtig hin, während Plutarch dies
breit ausgeführt hatte. Und ebenso ist der Bericht von
ihrem Tode ein Beweis ihres heroischen Muts: sie nimmt glühende
Kohlen in den Mund und hält ihn so lange geschlossen,
bis sie erstickt ist. Auch dies ist von Shakespeare nur eben
angedeutet. Das Stück ist nicht durchwegs im Blankvers
abgefaßt. In Prosa sprechen die Handwerker aus der Volksmenge,
aber auch der mürrische Casca, wo er den trockenen, nüchternen
Bericht über die vereitelte Königskrönung erstattet,
der den Cäsar ohne alle Begeisterung schildern soll.
Auffälliger ist, daß die Rede des Brutus vor dem
Volk nach der Ermorderung Cäsars in Prosa abgefaßt
ist. Aber auch hier wird Shakespeares Absicht klar. Der Idealist
Brutus glaubt, wenn er den Bürgern ganz offen und wahr,
verstandesmäßig, ohne jeden rhetorischen Aufputz
ihre Sache darlege, werden sie sein Tun billigen. Und dann
muß er sehen, wie auf seine nüchterne Rede die
des Antonius folgt, voll stärkster rhetorischer Effekte,
wie die des Advokaten auf die des Gelehrten, und wie Antonius
die Masse mit sich fortreißt.
Unter Shakespeares Dramen kommt dieses vermöge seines
Stoffs und Vorbilds dem klassizistischen Geschmack am meisten
entgegen. Demselben Umstand ist es auch wohl zu verdanken,
daß es im 18. Jahrhundert zuerst das Verständnis
für Shakespeare auf dem Festland anbahnte. Das Stück
hat heute einen festen Platz auf den deutschen Bühnen,
ohne indessen zu den häufigst gespielten Werken Shakespeares
zu zählen. Der preußische Gesandte in London, Caspar
Wilhelm von Bor lieferte mit seinem "Versuch einer gebundenen
Übersetzung des Trauerspiels vom Tode des Julius Cäsar;
aus dem englischen Werke des Shakespeare", 1741, die
erste wirkliche Übersetzung eines Shakespeareschen Stückes.
Schlegels Übertragung ist 1797 im zweiten Bande seiner
Shakespeare-Dramen erschienen.
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